Keine Kuschelgemeinschaft

Alternative Wohnformen in der zweiten Lebenshälfte werden immer beliebter – obwohl das Zusammenleben im Alltag oft schwierig ist. Was tun, wenn die Frauen zicken? Und wie sich ausklinken, wenn die WG nervt? Drei Besuche vor Ort

VON BARBARA DRIBBUSCH

Der Abend mit den Jugendfotos war gelungen. Ein echtes Highlight, als die Damen ihre Fotoalben mitbrachten und sich gegenseitig die Bilder aus ihrer Teenagerphase zeigten. „An diesem Abend haben wir viel gelacht“, erinnert sich Heike Grünewald. Die 60-Jährige ist gewissermaßen Profi in Fragen des Zusammenlebens. Seit zehn Jahren wohnt sie im Projekt „Gemeinschaftlich wohnen – gemeinsam alt werden“ in Berlin-Steglitz. „Ein Experiment“, sagt sie heute, „man darf vor allem nie zu persönlich werden.“

Während lustige Serien über „Alten-WGs“ über die Fernsehkanäle flimmern und auch die Grünen und die SPD neue Wohnformen „in der zweiten Lebenshälfte“ beschwören, gibt es erst wenige Projekte, die langjährige Erfahrungen gesammelt haben. Auch bei Grünewald waren schon diverse Journalisten, die dann zum Beispiel einen Schwank über „die Kommune der Omis“ schrieben. In Wahrheit aber sei das Zusammenleben eine Sache von trial and error, sagt Grünewald, von Beruf Soziologin. Ihr wichtigster Tipp: „Man sollte etwas Drittes gemeinsam haben.“ Es reicht nicht, nur Angst zu haben vor dem Alleinwohnen in einer Einzelwohnung und deswegen die Nähe der anderen zu suchen. Zudem sei es besser, so Grünewald, wenn man sich schon vor dem Zusammenziehen kennen lernt, „auch um sich auszusuchen, mit wem man dann Tür an Tür leben will“.

Im Projekt in Berlin-Steglitz residieren elf Frauen, die in Einzelwohnungen auf drei Etagen verteilt leben. Jeweils drei bis vier Wohnungen münden in einen großen Vorraum, dort stehen Pflanzen, Bücherregale und ein Esstisch, so dass die Frauen, wenn sie mögen, gemeinsam kochen und speisen können. In der vierten Etage etwa ist der Tisch frisch gedeckt, auf den Stühlen liegen Kissen. Die Damen im Alter zwischen 42 und 82 Jahren essen und plaudern hier viel zusammen. Eine Etage drunter hingegen wurde der Tisch an die Wand geschoben. Gemeinsame Mahlzeiten sind hier die Ausnahme. Das Zusammenleben sei „auch Glückssache“, sagt Grünewald. Ob die Chemie zwischen den Frauen stimmt, kann durch den guten Willen allein nicht beeinflusst werden.

Machtkampf unter Frauen

Die Frauen in Steglitz haben einiges versucht, um Gemeinsamkeiten zu schaffen und zu erhalten. Jeden Montagabend treffen sich die Bewohnerinnen im Gruppenraum im Souterrain, zum organisatorischen Palaver und auf ein Glas Wein. Sie gingen auch schon zusammen ins Kino und in Kunstausstellungen. Doch schon bei Picasso schieden sich die Geister, die eine konnte damit was anfangen, die andere kam nur mit, weil es ein Gruppenerlebnis sein sollte. Ein gemeinsamer Abend mit irischem Volkstanz hingegen war sehr beliebt bei den Frauen – bis die Initiatorin aus dem Hause starb.

Zur wahren Prüfung aber wurden die Machtkämpfe unter einigen Bewohnerinnen. „Frauen sind mitunter distanzlos“, sagt Grünewald, „und zwischen Frauen gibt es keine geregelten Hierarchien, das schafft Spannungen.“ Einige Frauen erlebten die typisch weibliche Ambivalenz: große schwesterliche, gar mütterliche Nähe konnte urplötzlich umschlagen in Abneigung und Abwehr, wenn eine Bewohnerin der anderen mal wieder vorwerfen wollte, was sie in ihrem Leben angeblich ganz grundsätzlich falsch machte. Da konnte es schon mal vorkommen, dass eine von der anderen forderte, doch bitte nur einen Merkzettel an die Tür zu kleben und nicht so oft zu klingeln, sie fühle sich sonst gestört.

Dennoch: das Projekt ist erfolgreich, denn die Fluktuation ist gering. Zeitweise sogar mit einer externen Supervision haben die Bewohnerinnen versucht, ihre Spannungen beizulegen.

„Das Grundvertrauen in die Gruppe darf nicht erschüttert werden“, sagt Holger Tautorat, 50 Jahre, Mathematiker und Mitglied der Baugruppe Berlin-Johannisthal (www.lebenstraum-johannisthal.de). 59 Menschen im Alter von 1 bis 63 Jahren, darunter 27 Kinder, erproben in Johannisthal in einer ökologischen Reihenhaussiedlung ein neues Zusammenleben. Neun Häuser sind bereits bewohnt, die anderen noch im Entstehen. Jeder der Eigenheimbesitzer muss die Hälfte seines Grundstückes in die Gemeinschaftsfläche einbringen und behält nur eine Terrasse mit Vorplatz vor der Wohnküchentür. Zäune gibt es nicht. Jeder schreinert und malert auch mal im Haus des Nachbarn, diese Stunden werden aufgeschrieben und gegeneinander verrechnet – wer kleinlich ist, hält so ein System nicht aus.

„Man muss tolerant sein“, sagt Doris Rentzsch, 62, Wirtschaftsmathematikerin. Jeden Freitag trifft sich die Baugruppe zum Plenum. Dann macht als Erstes ein Halbedelstein die Runde, wer das Stück in der Hand hält, darf offen sagen, was ihm stinkt, sei es die grüngelbe Fassadenfarbe des Nachbarn oder der unaufgeräumte Hof. In der folgenden Auseinandersetzung achtet die Gruppe darauf, dass niemand zum Sündenbock wird und auf persönliche Beleidigungen eine Entschuldigung folgt. „Manchmal gibt es Zickenalarm“, seufzt eine Bewohnerin. Doch Verhärtungen kann sich hier niemand leisten – auch, weil sich die Häuslebauer teilweise hoch verschuldet haben.

Wichtig beim Experiment mit neuen Lebensformen seien „Sympathien für die Mitbewohner“, betont Ferdinand Beetstra, 48 Jahre alt, Finanzplaner und Miteigentümer in der Hausgemeinschaft Wönnichstraße 103 in Berlin- Lichtenberg, „die Sympathie schafft innere Großzügigkeit“. In der Wönnichstraße leben 15 Erwachsene bis zu einem Alter von 51 und ein 6-jähriges Kind in sechs Wohnungen zusammen. Unterm Dach gibt es eine gemeinsame Bibliothek und im Hof einen Wirtschaftsgarten.

Auszeit von der Gruppe

In der Gemeinschaftsküche im Erdgeschoss kochen abwechselnd immer ein, zwei Mitbewohner Abendessen, vegetarisch, von thailändischer Reispfanne bis zu deutschem Eierkuchen. Ab 19 Uhr steht das Essen auf dem Tisch, eine Pflicht zu erscheinen gibt es jedoch nicht. Statt WG-Gruppenstress à la 70er-Jahre ist die gemeinsame Küche eine Win-Win-Situation für alle Beteiligten: Nur 30 Euro in der Woche zahlt jeder in die Essenskasse ein, das reicht im billigen Großeinkauf in der Food Kooperative für die Lebensmittel. „Es lohnt sich für alle“, sagt Beetstra.

Doch jeder in der Wönnichstraße kann sich auch mal für ein paar Wochen ausklinken vom gemeinsamen Speisen, vom Plenum am Dienstagabend und kollektiven Spiele- und Musikabenden. „Die Möglichkeit, diese Auszeit zu nehmen, ist wichtig“, erklärt Beetstra. Die Fluktuation in der Hausgemeinschaft ist gering.

Wie die meisten Johannisthaler haben auch viele BewohnerInnen in der Wönnichstraße 103 zuvor schon in ihrem Leben Erfahrungen in Projekten, Gruppen und Vereinen gesammelt. Wer in einer Wohn- oder Hausgemeinschaft alt werden will, tut gut daran, schon in jüngeren Jahren zu üben, wie man die Balance hält aus Nähe und Distanz. Mit Kuschel-WG im Stile der 70er-Jahre hat genau das nichts zu tun: In einer erfolgreichen Alten-Hausgemeinschaft in Göttingen beispielsweise bleiben die meisten Bewohnerinnen auch noch im hohen Alter untereinander per Sie.