Nicht unser Problem

Heute tritt der Chef der Linkspartei/PDS zum vierten Mal für das Amt des Bundestagsvizepräsidenten an. Dass er diesmal tatsächlich gewählt wird, ist unwahrscheinlich – die Front der Ablehner steht

VON ULRIKE WINKELMANN

Lothar Bisky ist einer der ganz wenigen Politiker, die vermutlich wirklich aus Pflichtgefühl den Chef machen – in seinem Fall den Chef der Linkspartei/PDS. Es darf unterstellt werden, dass er sich auch nach dem Amt des Bundestagsvizepräsidenten nicht drängt, sondern von der Fraktion der „Linken“ im Bundestag wegen seines guten Rufs dafür nominiert wurde.

Das unterscheidet ihn, den 64-jährigen Kulturwissenschaftler und ehemaligen Rektor der Filmhochschule Potsdam-Babelsberg, von den Kandidatinnen von Union oder Grünen, die mit dem schönen Sitz im Bundestagspräsidium von ihren Fraktionen für den Verlust anderer Machtoptionen getröstet worden sind.

Ausgerechnet diesem Lothar Bisky jedoch verweigerte der Bundestag am 18. Oktober die Zustimmung. In einem, in zwei, in drei Wahlgängen wurde Bisky nicht ins Präsidium gewählt. Alle anderen Stellvertreter des neuen Bundestagspräsidenten Norbert Lammert (CDU) – zwei für die SPD, je einen für CSU, FDP und Grüne – hatten selbstverständliche Mehrheiten bekommen. Denn gewählt wird im Allgemeinen, wen die Fraktion aufstellt. Aber nicht im Besonderen. An manchen Tagen will der Bundestag eben frei abstimmen.

Heute am frühen Nachmittag tritt Bisky nun zum vierten Mal an. Der Bundestag ist mitten im Koalitionsverhandlungs-Endspurt versammelt, weil das Mandat der Truppen in Afghanistan fristgerecht verlängert werden muss. Und wo sie schon einmal – hoffentlich – alle da sind, sollen sie nach Planung der Parlamentarischen Geschäftsführer auch über Bisky noch einmal abstimmen. Einmal noch.

Doch wer von 258 Abgeordneten, die das letzte Mal gegen Bisky gestimmt haben, seine Meinung bis heute geändert hat, war in den vergangenen Tagen nicht zu erahnen. Zwar hat Lammert selbst darum gebeten, die Aufstellung Biskys doch zu respektieren und ihm eine entsprechende Mehrheit zu geben. Doch bei der Union, wo die meisten Bisky-Gegner vermutet werden dürfen, schien sich die Ablehnung Biskys nach dem 18. Oktober eher zu verstärken. Auch die FDP wirkte plötzlich so streng.

Ohne neue oder etwa bessere Gründe aufzuführen, verwendete etwa der liberale Fraktionsgeschäftsführer Jörg van Essen den prozessualen Vorwand: „Durchgefallen ist durchgefallen.“ Bei CDU und CSU fielen zwei Argumente gegen Bisky. Als Chef seiner Partei sei er nicht parteiübergreifend integrativ genug. Und da gebe es ja noch diese Stasi-Geschichte. Um Aufklärung letzterer kann sich bei der Union niemand bemüht haben. Denn die IM-Vorwürfe sind die seit Jahren gleichen und unbelegten.

Möglichen Schwund an Zustimmung bei Union und FDP kann heute nur die SPD kompensieren – vorausgesetzt, die Stimmen von Linkspartei und den meisten Grünen sind Bisky sicher. Die Sozialdemokraten gebären sich in einer Mischung aus Unschuld und Verfahrenstreue: Selbstverständlich werde die Fraktion der Vorgabe des neuen Geschäftsführers Olaf Scholz folgen und Bisky wählen.

Andererseits sei es „verständlich“, dass einige Genossen entweder aus DDR-Gründen oder aus Lafontaine-Gründen nicht mitmachen könnten. Dieses Verständnis diene keineswegs dazu, die eigene Neinstimme zu kaschieren, erklärte etwa die SPD-Rechte und Bundestagsvize Susanne Kastner gestern. „Ich wünsche mir, dass er gewählt wird.“ Es sei eben bloß „ein bisschen unklug“, die Leute mit dem Kandidaten Bisky so ausdauernd zu provozieren. Auf keinen Fall aber sei zum Beispiel die Person Olaf Scholz beschädigt, wenn die SPD-Fraktion sich dessen „klarer Empfehlung“ verweigere, sagte Kastner: „Das ist dann nicht das Problem Scholz’, sondern das Problem der Linkspartei.“

Die findet das Amt des Bundestagsvizepräsidenten für den Fall einer vierten Niederlage Biskys vielleicht auch nicht mehr ganz so wertvoll.