Von Trittbrettfahrern und Spekulanten

Die ausgebrannten Autos in Moabit erinnern an die Szenen aus französischen Städten. Nun versuchen Politiker, das heiße Thema herunterzukochen. Tatsächlich sprechen die Fakten nicht für eine Eskalation der sozialen Konflikte. Doch die Debatte ist entfacht: Wie viel Banlieue steckt im Berliner Kiez?

Die einzige eindeutige Spur, die nach Frankreich führt, ist das Fabrikat des ausgebrannten Autos am Wikingerufer. Es ist ein Peugeot, sogar ein Cabriolet. Aber das erkennt man erst auf den zweiten Blick.

An den anderen Tatorten sieht es so aus, als sei nichts geschehen. Nichts erinnert an die vier weiteren Autos, die in der Nacht zu Montag ausbrannten: Am Helgoländer Ufer spielen Kinder einer Tagestätte ausgelassen an den Geräten eines Spielplatzes. Der Tankwart, der neben dem Tatort an der Lessingstraße sein Geschäft hat, möchte am liebsten nichts von den Zerstörungen wissen. Nur am Wikingerufer gibt es noch etwas zu sehen: den ausgebrannten Peugeot.

25 Prozent der Moabiter leben von Sozialhilfe. In ganz Berlin liegt die Quote unter 8 Prozent. Und auch der Ausländeranteil von 35 Prozent ist in Moabit deutlich höher als im Rest der Stadt. In Gesamtberlin besitzt nur jeder Zehnte keinen deutschen Pass. Doch daraus lässt sich noch lange nicht auf französische Verhältnisse schließen.

„Anders als in Paris lebt ein Großteil der ausländischen Bürger in den Innenstadtrandbereichen und nicht in den Vororten“, sagt Cornelius van Geisten von Stern, der Gesellschaft für behutsame Stadterneuerung. Geisten geht bei den Brandsätzen in Moabit von einer Nachahmungsaktion aus. In Berlin werde viel für die Integration getan. Dennoch reiche die geleistete Arbeit noch nicht, um bei den Brandanschlägen der vergangenen Nacht Parallelen zu den Pariser Ereignissen gänzlich auszuschließen, sagt Geisten. Für die Jugendlichen mit Migrationshintergrund seien die Aussichten auf Ausbildungs- und Arbeitsplätze schlecht.

Fehlende Zukunftsperspektiven bauen Frust auf und geben Raum für Politisierung – das sei in Moabit nicht anders als in Paris, sagt Heike Pfeiffer vom Quartiersmanagement Moabit-West. Dass Jugendliche aus Moabit jedoch für den Anschlag verantwortlich sind, sei reine Spekulation. Es könne genauso gut ein psychisch gestörter Einzeltäter sein, mutmaßt Pfeiffer und warnt vor voreiligen Schlüssen.

Wenn es einen politischen Ort gibt, an dem brennende Autos ein Thema sein sollten, dann ist es der Innenausschuss des Abgeordnetenhauses. Er tagte gestern Morgen nach den Ereignissen, aber geredet wurde über anderes: über die WM und über Abschieberegelungen. Erst der grüne Fraktionschef Volker Ratzmann hakte nach dreieinhalb Stunden nach. Und Innensenator Ehrhart Körting (SPD) bemüht sich redlich, das Thema nicht größer zu machen, als es ohnehin schon zu werden droht. Es gebe bisher keine Anhaltspunkte auf die Täter, sagt er. Er wolle aber nicht ausschließen, dass es sich um Trittbrettfahrer französischer Verhältnisse handele. Körting: „Wir sollten Parallelen zwischen Paris und Berlin nicht herbeireden.“

Die Äußerungen seines Parteifreundes und Neuköllner Bürgermeisters Heinz Buschkowsky seien „fahrlässig“, weil sie geeignet seien, möglichen Tätern Rechtfertigungsmuster zu liefern, warnt der Innensenator.

Etwas anders sieht man es am Tresen der Bierquelle an der Straße Alt-Moabit. Die schon etwas älteren Stammkunden glauben an Nachahmer, die die französischen Krawalle imitieren. Bei der Frage, ob es sich dabei um eine Einzelaktion handele oder ob es auch heute Nacht wieder brennen könnte, wird man sich aber auch hier nicht einig.

Politiker aller Couleur warnen und mahnen: Die FDP fordert Arbeitsplätze. Sibyll Klotz, grüne Fraktionschefin im Abgeordnetenhaus, will eine bessere Integrationspolitik, die Gewerkschaft der Polizei verlangt mehr Geld für ihre Beamten. Die brennenden Autos schaffen offenbar eine ganz eigene Art von Trittbrettfahrern. KF, BB, AM