Einkaufen wie die Weltmeister

Der Senat erlaubt längere Öffnungszeiten während der Fußball-WM. Und das ist erst der Anfang. Nach der Einigung zur Föderalismusreform wird das Land den Ladenschluss faktisch abschaffen

VON ULRICH SCHULTE

Ein Erfolg der deutschen Nationalmannschaft bei der Fußball-WM ist mehr als fraglich, doch wenigstens die Fans könnten zu Höchstleistungen auflaufen – im Einkaufen. In den Wochen vom 9. Juni bis zum 9. Juli 2006 dürfen Geschäfte länger öffnen, sagte Verbraucherschutzsenatorin Heidi Knake-Werner (PDS) gestern. „Die vielen Besucher werden die Gelegenheit nutzen, die Stadt mit ihren Angeboten kennen zu lernen.“

Was die Senatorin vornehmlich als Sonderaktion für Touristen verstanden wissen will, gewinnt durch eine bundespolitische Entscheidung an Brisanz. Die Koalitionspartner CDU und SPD haben sich auf Eckpunkte einer Föderalismusreform geeinigt, den Ladenschluss sollen künftig die Länder selbst regeln (die taz berichtete). Damit ist so gut wie sicher, dass – in momentan noch nicht absehbarer Zeit – hiesige Läden rund um die Uhr öffnen dürfen.

Das sportlich unterlegte Einkaufsfest bildet zunächst den Auftakt: Die Geschäfte dürfen in den fünf Wochen werktags von 6 bis 24 Uhr öffnen, an den Sonntagen von 14 bis 20 Uhr. Die enthusiasmierten Fans, so das Kalkül des Einzelhandelsverbandes, lassen Euros in die Kassen prasseln – immer nach der Devise: Das Runde muss ins Eckige.

Wann der Ladenschluss in der Hauptstadt endgültig kippt, ist noch nicht raus – bis die Föderalismusreform greift und das Bundesgesetz abgeschafft ist, kann gut ein Jahr vergehen. Der politische Wille ist da: „Wenn das Land zuständig wird, werden wir die Öffnungszeiten weitestgehend liberalisieren – nur der Sonntag bleibt zu“, sagt Christoph Lang, Sprecher der Wirtschaftsverwaltung.

Diese Haltung hat sich nach jahrelanger Diskussion auch im Parlament durchgesetzt. Selbst die PDS kann sich werktags inkl. samstags offene Läden bis 24 Uhr vorstellen, sofern der Arbeitsschutz nicht verletzt wird. „Auch wenn fraglich ist, ob die Geschäfte tatsächlich höhere Umsätze erwirtschaften, für die Kunden hat eine freie Regelung nur Vorteile“, sagt Frank Jahnke, Vorsitzender des SPD-Arbeitskreises Wirtschaft und Arbeit. Auch sein Fazit: Sobald das Land zuständig ist, verabschiedet das Abgeordnetenhaus „schnellstmöglich“ ein entsprechendes Gesetz. Nur der Sonntag bliebe heilig.

Die schöne neue Einkaufswelt stößt der Gewerkschaft sauer auf. Auch nach Verlängerung der Öffnungszeiten bis 20 Uhr seien die Umsätze rückläufig, argumentiert Erika Ritter, bei Ver.di zuständig für den Einzelhandel. „Die Leute sind mit den jetzigen Zeiten zufrieden. Eine Änderung ist unsinnig.“ Dagegen überwiegen für Ritter die Nachteile, denn die Verkäuferinnen müssten auch zu nachtschlafender Zeit an den Kleiderständer. „Bis zu 80 Prozent der Beschäftigten sind Frauen, die meist familiäre Verpflichtungen haben.“

Nun ist Senatorin Knake-Werner nicht nur für Fußballkonsum, sondern auch für Soziales zuständig, deshalb verweist sie auf vorbildlichen Arbeitsschutz: Die Angestellten dürften während der WM nur an drei der fünf Sonntage arbeiten. Und längere Öffnungszeiten zur WM bedeuten nach ihrer Lesart keine längeren Arbeitszeiten – die Tarifverträge bleiben unberührt.