„Entschuldung gehört nicht vor Gericht“

Statt auf Milliarden-Hilfen sollte Berlin auf Wachstumsbranchen setzen, sagt Verfassungsrechtler Matthias Rossi

taz: Herr Rossi, Sie sind 37 Jahre alt. Werden Sie noch erleben, dass das mit 60 Milliarden Euro verschuldete Berlin schuldenfrei wird?

Matthias Rossi: Das hoffe ich!

Wieso?

Ich habe die Hoffnung, dass Berlin lernt, noch weniger auszugeben. Zum einen sinken mittelfristig die Personalausgaben. Zum anderen hat die Stadt große Wachstumspotenziale, beispielsweise beim Tourismus. Ein allgemeines Wirtschaftswachstum kommt dazu.

Bis sich dort Früchte zeigen, kann es noch dauern. Derzeit klammern sich Koalition und Opposition an die Hoffnung, dass die Klage des Landes auf Entschuldungshilfen vor dem Bundesverfassungsgericht Erfolg hat. Sie auch?

Da bin ich skeptisch. Die Entschuldungsfrage ist vor Gericht falsch aufgehoben, denn sie ist eine politische Frage. Die Verfassungsrichter können nicht abschließend darüber entscheiden, ob und wie viel Geld Berlin von der Solidargemeinschaft des Bundes bekommt. Deshalb könnten die Richter den Gesetzgeber auffordern, ein Haushaltsnotlagengesetz zu erlassen. Darin müsste genau stehen, wie die Umverteilung aussieht.

Sie sehen also schwarz für die erhofften 35 Milliarden Euro für Berlin?

Heute steht die Hauptstadt mit ihrer Haushaltsmisere nicht mehr allein. Das Saarland, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein – all diese Länder stehen ebenfalls mit schlechten Finanzen da. Spätestens, wenn auch sie auf die Idee kommen, in Karlsruhe Geld einzufordern, werden die politischen Akteure nach neuen Lösungen suchen müssen.

Sie vertreten CDU-, Grünen- und FDP-Abgeordnete bei deren Klage vor dem Landesverfassungsgerichtshof gegen den Senat. Sie fordern, das Land müsse jährlich eine mittelfristige Finanzplanung vorlegen. Warum ist Ihnen das so wichtig?

Weil es für die Karlsruher Klage und die BerlinerInnen wichtig ist. Nur diese Planung offenbart den Verfassungsrichtern, ob die Eigenanstrengungen des Landes beim Schuldenabbau in den kommenden Jahren genügen.

INTERVIEW: MATTHIAS LOHRE