In der Dunkelkammer

Flugschreiber der Katastrophe: Die neue Arbeit des südafrikanischen Künstlers William Kentridge in Berlin versucht eine speziell deutsche Trauerarbeit und scheitert an zu viel Zitaten und zu viel Technik

Aufständische werden zu Tode geprügelt oder am nächsten Baum aufgehängt Kentridge will zur Trauerarbeit aufrufen und verstrickt sich in ästhetisiertem Zierrat

VON MARCUS WOELLER

„Das Volk der Herero muss das Land verlassen. Wenn das Volk dies nicht tut, dann werde ich es mit dem groot Rohr dazu zwingen. Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero, mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen. Ich nehme keine Weiber oder Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volke zurück oder lasse auf sie schießen.“

Mit diesen Worten befehligte Generalleutnant Lothar von Trotha 1904 im Auftrag Kaiser Wilhelms II. den ersten Genozid des 20. Jahrhunderts. Opfer des deutschen Kolonialimperialismus im heutigen Namibia war das Volk der Herero.

Trotha rieb die schlecht bewaffneten Krieger in einer Kesselschlacht auf und trieb den Großteil der Bevölkerung in den Verdurstungstod in der Omaheke-Wüste. Der Völkermord blieb lange unaufgearbeitet. Hundert Jahre nach dem Aufstand der Herero gegen die deutschen Besatzer und ihren blutigen Untergang hat dann zwar Entwicklungshilfeministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul vor Ort um Vergebung gebeten – aber eine große Rolle spielt die Vergangenheit in Schwarzafrika im kollektiven Gedächtnis Deutschlands nicht.

Daran wird wohl auch William Kentridges neueste Arbeit „Black Box/Chambre Noire“ nichts ändern. Der weiße südafrikanische Künstler befasst sich seit Jahren mit der Aufarbeitung der Kolonial- und Apartheidgeschichte Südafrikas, dem Namibia von 1914 bis zur Unabhängigkeit 1990 unterstand. Im Auftrag der Deutschen Guggenheim Berlin hat er ein mechanisches Miniaturtheater gebaut, dessen Titel auf drei Bedeutungsebenen verweist. „Black box theatres“ heißen im englischen einfache Kammerspielbühnen; „Chambre noire“ bezeichnet die Camera obscura als Urtypus des Fotoapparats; und trotz signalroten Lacks werden nicht zuletzt auch die Datenrecorder von Flugzeugen, die nach einem Absturz über dessen Gründe Auskunft geben sollen, „black box recorder“ genannt.

Kentridges hölzerne Guckkastenbühne stellt den Rahmen für eine Installation aus Animationsfilmen, kinetischen Objekten, projizierten Zeichnungen und historischen Aufnahmen der Kolonialzeit. Die zwanzigminütige Vorstellung eröffnet eine wacklige Megafonfigur mit dem Schriftzug „Trauerarbeit“ und einer Mozartfanfare: Sie schickt die Besucher auf die Reise aus dem Berlin der Kongo-Konferenz zu Ende des 19. Jahrhunderts an den Waterberg in Deutsch-Südwestafrika. Hier forscht Kentridge dem brutalen Schicksal der Hereros nach. Aufständische werden zu Tode geknüppelt oder am nächsten Baum aufgeknüpft. Schädel werden nach Deutschland geschickt, um der arischen Anthropometrie neues Anschauungsmaterial zu bieten. Ein Vermessungszirkel marschiert dazu. Preußische Jäger metzeln in kolonialer Großmannssucht Nashörner nieder. Eine Hererowitwe singt Klagelieder, und mit buchhalterischer Präzision füllen sich die Opferlisten.

Die besondere Leistung von Kentridge war es immer, das Medium der Zeichnung zu erweitern. An den Expressionisten geschult, arbeitet er mit dem Kohlestift zeitlich in verschiedene Richtungen. Während er an einem Blatt weiter zeichnet, radiert er gleichzeitig immer wieder Stellen aus und verändert sie. Dabei bleiben Radierspuren, Verwischungen und Materialrückstände auf dem Papier. Mit dem Animationsfilm bieten sich Kentridge so Möglichkeiten, diese zeitlichen Dimensionen der Zeichnung auszureizen. Der Arbeitsprozess manifestiert sich im bewegten Bild.

Mit den Techniken der Projektion und des Schattenrisstheaters brachte Kentridge die Leitmotive des Platon’schen Höhlengleichnisses auf die Bühne. Diese antike Initialzündung der Philosophie der Aufklärung hat Kentridge nun auch zur Beschäftigung mit Mozarts „Zauberflöte“ bewogen, die er im April in Brüssel zur Aufführung brachte und die er auch in seinem aktuellen, multimedialen und technisch brillanten Werk zitiert.

Unglücklicherweise gelingt es Kentridge dennoch nicht, die Dunkelkammer zum Ort der Illumination werden zu lassen. Form und Inhalt kollidieren in „Black Box/Chambre Noire“ auf ungeschickte Weise. Für die Auseinandersetzung mit dem Hereromassaker bauschen sich theatralische Performance und dekontextualisierte Opernarien zu einem allzu gediegenen Kunstwollen auf. Mechanisches Skulpturenballett und Dokumentarfilmschnipsel, nostalgischer Kolonialdekor und computergesteuerte Projektionstechnik verkleinern die Bilder, die sich zuspielen, ins Unendliche.

Kentridge schwächt die Kraft der eigenen Zeichnung, indem er sie auf historische Buchseiten, Originaldokumente und Vorlesungsmanuskripte setzt. Er imitiert alte Handschriften, dadaistische Collagen und erzeugt einen gefälligen Retrostil. Obwohl der Conferencier mit der Flüstertüte ganz programmatisch zur Trauerarbeit im Sinne Freuds aufruft, also Trauer als aktive Handlung und eben nicht als passive Verdrängung zu verstehen, verstrickt sich das Projekt „Black Box/Chambre Noire“ in ästhetisiertem Zierrat. Dabei gilt es doch den Flugschreiber der menschlichen Katastrophe zu bergen und auszuwerten.

William Kentridge: „Black Box/Chambre Noire“, bis 15. Januar 2006, im Deutsche Guggenheim Berlin, Katalog: 34 €