Kürzen heißt jetzt clustern

Schwerpunktbildung zu Lasten der Sozialwissenschaften: An der Göttinger Uni werden nach der „einsamen Entscheidung“ des Präsidiums Politik, Pädagogik und Sport drastisch reduziert

aus Göttingen Reimar Paul

Die Kürzungs- und Fusionswelle an deutschen Hochschulen hat jetzt auch die Traditions-Universität Göttingen getroffen, genauer die Fächer Politik, Pädagogik und Sport. Sie sollen drastisch beschnitten werden. Wie und warum, darüber informierte Hochschulpräsident Kurt von Figura gestern auf einer „inoffiziellen“ Pressekonferenz. Eingeladen worden waren nur diejenigen, die extra nachgefragt hatten.

Die Unileitung bemühte sich, den Eindruck zu erwecken, es sei alles halb so wild. So sollen die drei Fächer zum nächsten Wintersemester nicht gänzlich geschlossen werden, sondern nur massiv abspecken. Das bedeutet, dass nur noch LehrämtlerInnen ausgebildet werden, Diplom- und Magisterstudiengänge werden nicht mehr angeboten. Auch die gerade erst eingeführten Master- und Bachelor-Abschlüsse soll es nicht mehr geben.

Besonders heftiger Widerstand kommt von den PolitikwissenschaftlerInnen. Hier sollen drei von fünf Professuren gestrichen werden. Im Gegenzug versprach die Unileitung, die ebenfalls an der Fakultät angesiedelten Disziplinen Soziologie und Ethnologie auszubauen. Von Figura berief sich außerdem darauf, dass an der Universität Hannover geplant sei, die Politikwissenschaft zu verstärken und die Soziologie abzubauen – als Pendant zu Göttingen. Hintergrund seien Vereinbarungen mit der Landesregierung, die eine „Clusterbildung“, also eine Konzentration der Fächer an einzelnen Hochschulen, fordert.

„Schwerpunkte ausbilden“, „Kompetenzen bündeln“, „die Leistungsstärke verbessern“, waren auch die Schlagworte, mit denen der Präsident versuchte, die Vorgänge schmackhafter zu machen. Viele Studierende und wissenschaftliche Mitarbeiter halten davon allerdings überhaupt nichts. „Das ist der Trend weg von der Volluniversität“, kritisiert eine Doktorandin. „Künftig werden nur noch wissenschaftliche Fachidioten ausgebildet.“

Die Politologie hat in Göttingen eine Jahrhundert alte Tradition und in der Öffentlichkeit einen hervorragenden Ruf. Viele hier lehrende WissenschaftlerInnen traten für demokratische Strukturen und Prozesse ein. Heute begründet vor allem die Parteienforschung das Renomee des Fachs. Die Professoren Peter Lösche und Franz Walter sind als Sachverständige aus Wahlsendungen und Kommentarspalten nicht mehr wegzudenken.

Präsident von Figura zufolge ist die Wissenschaftliche Kommission des Landes bei der Evaluierung der Hochschulen allerdings zu dem Ergebnis gelangt, dass die Politologie in Göttingen „zu sehr durch Individualforschung und durch einzelne Persönlichkeit geprägt“ ist. Medienpräsenz könne „wissenschaftliche Exzellenz“ nicht ersetzen, statt „plakativer Aktion“ sei Substanz gefragt. Walter hat sich gegen diese Vorwürfe inzwischen zur Wehr gesetzt, er spricht von „Beleidigung“ und „Kränkung“.

Kritisiert wird auch, dass die Betroffenen vor vollendete Tatsachen gestellt wurden. Wissenschaftliche MitarbeiterInnen prangerten gestern die „einsamen Beschlüsse“ des Hochschulpräsidiums an. Für den AStA herrscht gar „ein Klima der Angst“ an der Universität. MitarbeiterInnen und Studierende würden „zusehends ihrer Mitbestimmungsrechte beraubt“.

Von Figura kündigte an, jetzt in eine Diskussion mit den Betroffenen zu treten. An den Prämissen sei aber nichts zu ändern. Er räumte ein: „Wohin das führt, wissen wir alle noch nicht.“