Neoliberale Tauschgeschäfte
: Kommentar von Ulrike Herrmann

Reichensteuer kommt, Atomausstieg bleibt, Kündigungsschutz wird schlechter – bei den Koalitionsverhandlungen scheint sich die SPD ein wenig stärker durchgesetzt zu haben als die Union. Allerdings bedeutet das nicht viel. Denn zum Schluss ging es sowieso nur noch um Tauschgeschäfte der symbolischen Art. Beispiele: Was bekommt die Union, wenn sie die AKW-Laufzeiten akzeptiert? Was muss die SPD hergeben, um die betrieblichen Bündnisse zu verhindern?

Die Knackpunkte waren klug gewählt: Sie schienen einen Kampf ums Ganze zu signalisieren – tatsächlich maskieren sie nur, dass bei den wesentlichen Verteilungsfragen längst Einigkeit herrschte. So stand schon vor der letzten Verhandlungsrunde fest, dass die Mehrwertsteuer steigt und dass sich die Firmen über weitere Abschreibungsmöglichkeiten freuen dürfen.

Diese neoliberale Angebotspolitik kann nicht überraschen. Sie setzt nur anders fort, was schon in der letzten Legislatur üblich war. Stichworte: gesenkter Spitzensteuersatz für die gut Verdienenden, Langzeitarbeitslose mit ALGII auf Sozialhilfeniveau.

Jetzt wird die Ungleichheit in Deutschland weiter verschärft. Selbst die Linkspartei konnte die etablierten Parteien nicht erschüttern; starr folgen Union und SPD ihren vertrauten Diskursen. Diese Kontinuität ist nur logisch – schließlich ist auch die große Koalition keineswegs ein neues Phänomen. Faktisch besteht sie seit elf Jahren, so lange herrscht – mit kleiner Unterbrechung – im Bundesrat immer eine andere Mehrheit als im Bundestag.

Seit gestern ist nur eines anders: Die Machtverhältnisse sind nun amtlich besiegelt, werden nicht mehr verschwiemelt im Vermittlungsausschuss verhandelt, sodass schließlich niemand mehr weiß, wer eigentlich was gefordert hat. Legendär ist das Beispiel der Praxisgebühr: Von der CDU im Bundesrat verlangt, wurde sie dennoch immer der SPD angelastet.

Also neue Transparenz. Das kann durchaus unerwartete Konsequenzen für die Politiker haben. Nun werden die Wähler, Lobbyisten und Widerstandsgruppen ganz genau wissen, an wen sie sich mit ihren Beschwerden zu halten haben. Es wird noch schwierig für die große Koalition.