hausbesetzung ost
: Die Räumung der Mainzer

November 1989: Während die Massen noch auf den Resten der Mauer tanzen, sind Teile der Kreuzberger Szene ungeachtet aller „Wendeskepsis“ bereits „drüben“. Teils mit, teils neben Gleichgesinnten aus dem Osten beziehen sie die ersten leer stehenden Altbauten. Von Behördenseite will zunächst niemand Notiz nehmen von Punks und Autonomen, die in abbruchreifen Häusern wohnen.

Frühjahr 1990: Auch Neonazi-Kader aus West und Ost tun sich zusammen und besetzen ein Haus in der Weitlingstraße in Lichtenberg. Alle Übergriffe der Folgezeit gehen auf die Neonazis der Weitlingstraße zurück. Das wiederum wollen Linke nicht auf sich sitzen lassen.

28. April 1990: Mehrere hundert Autonome aus Ost und West besetzen elf Häuser in der Mainzer Straße in Friedrichshain. Schnell entwickelt sie sich zum zentralen Treffpunkt der Besetzerszene.

Sommer 1990: Ostberlin erlebt seinen „Sommer der Anarchie“. Mittlerweile sind weit über 100 Häuser besetzt. In Friedrichshain, Mitte und Prenzlauer Breg entstehen Kneipen, Gruppenräume, Infoläden. In der Mainzer Straße gibt es u. a. ein Tuntenhaus, ein Frauen-Lesben-Haus und das Antifahaus. Zur Abwehr von Nazi-Übergriffen werden dort Molotowcocktails gebunkert und Barrikaden gebaut. Autonomer Wachschutz wird installiert. Mit Stichtag 24. Juli übernimmt der Ostberliner Magistrat die (West-)„Berliner Linie“. Danach werden bereits besetzte Häuser vorerst toleriert. Neu besetzte Häuser aber sollen umgehend geräumt werden.

3. Oktober 1990: Mit der Wiedervereinigung wird der Westberliner Polizeipräsident Georg Schertz für die ganze Stadt zuständig. Schon bald fordert er ein härteres Durchgreifen und sieht in der Mainzer Straße das „Zentrum der Gewalt“.

12. November 1990: Am frühen Morgen räumt die Polizei drei nach dem 24. Juli besetzte Häuser in der Pfarr- und der Cotheniusstraße. Gegen Mittag demonstrieren rund 50 Leute aus der Mainzer Straße auf der benachbarten Frankfurter Allee gegen die Räumungen. Sie errichten Barrikaden, um den Verkehr zu stoppen. Die Polizei fährt Räumpanzer und Wasserwerfer auf. Bis drei Uhr früh kommt es zu heftigen Auseinandersetzung in und um die Mainzer Straße. Dann zieht sich die Polizei zurück.

13. November: Der Regierende Bürgermeister Walter Momper und Innensenator Erich Pätzold (beide SPD) beschließen die Räumung der Mainzer Straße, ohne sich mit dem grünen Koalitionspartner abzusprechen.

14. November: Im Morgengrauen kommt es zu Berlins heftigstem Polizeieinsatz der Nachkriegszeit. Etwa 500 Linke verteidigen die Häuser gegen mindestens 4.000 Polizisten, die zum Großteil aus Westdeutschland herangekarrt wurden. Nach zwei Stunden ist die Mainzer Straße geräumt. Die Bilanz: Dutzende Verletzte auf beiden Seiten und mindestens 300 Festnahmen. 10.000 demonstrieren am Abend gegen die Räumung. Die Alternative Liste verlässt wenig später aus Protest die Koalition mit der SPD.

Die Zeit danach: Nach dem Schock tritt auf beiden Seiten Ruhe ein. Viele Besetzergruppen schließen Verträge für ihre Häuser ab. Einige werden in Selbsthilfe saniert. Erst ab 1996 lässt der damals neue Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) die noch besetzten Häuser reihenweise räumen, das letzte am 24. Februar 1998. FLEE