Unter den Tisch gefallen

Bemerkenswert ist, was nicht im schwarz-roten Koalitionsvertrag steht: Die Reformpolitik in Sachen Homophobie und zur Eingetragenen Lebenspartnerschaft ist unter Merkel kein Thema mehr

VON JAN FEDDERSEN

Am Ende habe, heißt es aus dem Umfeld des SPD-Unterhändlers Olaf Scholz, die Reichensteuer gegen sie gestanden. Die Union war da knallhart: Man lasse sich gern erweichen, gab man mündlich im Konrad-Adenauer-Haus zu verstehen, aber nur, wenn der Passus über die Extrabesteuerung für Menschen, die mehr als 250.000 Euro jährlich beim Finanzamt anmelden müssen, entfalle. Nein, da weinten die Sozen ein paar Tränchen – und verzichteten auf dies: die politische Kontinuität in Sachen Homoehe und verwandter Anliegen.

So war es um ein Anliegen geschehen, das zunächst innerhalb beider Parteien lanciert worden war – seitens der Union über verschiedene Funktionsträger in der Bundestagsfraktion, aus der Ecke der SPD vor allem durch den Sprecher des Seeheimer Kreises, Johannes Kahrs. Aber bei der Union fiel es gleich unter den Tisch, nix zu machen, lautete die Botschaft aus dem Merkel-Gehege, bloß nicht die ordochristlichen Milieus weiter verärgern; und in der SPD war das Symbolische in der Finanzpolitik wichtiger – und Kahrs hat obendrein in seiner Fraktion nach aufgeheizten Statements in Sachen „Schröder bleibt Kanzler“ momentan nicht den Stand eines Mannes, der strömungsübergreifend als anregend wahrgenommen wird.

Auf Seite 123 des Koalitionsvertrags heißt es nur noch lapidar: „Unsere Gesellschaft ist toleranter geworden. Sie nimmt auf Minderheiten Rücksicht. Sie akzeptiert unterschiedliche Lebensentwürfe.“ Ein Passus von ernüchterndster Gönnerhaftigkeit: Als ob das nicht selbstverständlich wäre. Und: Man stelle sich vor, es stünde das Gegenteil dort zu lesen – nun tut er so, als müsse das gesellschaftliche Klima von gewisser Gewogenheit Schwulen und Lesben gegenüber noch schwarz-rot nobilitiert werden, um Geltung zu erhalten.

Tatsächlich birgt der Koalitionsvertrag ja sonst Konkretionen zu anderen Minderheitenfragen sehr wohl: Da ist in puncto Migrationspolitik von Zwangsehen und zur inneren Verfasstheit gar von Antisemitismus die Rede. Man wurde also kristallklar – aber zu Lesben und Schwulen eben nicht. Nicht dazu, dass es, die kriminalstatistischen Zahlen ernst genommen, mehr Gewaltakte gegen Homosexuelle und ihre Infrastruktur gibt als gegen Juden und Jüdisches – beispielsweise. Oder dass überhaupt Homophobie, egal in welchem Milieu, noch weit verbreitet ist: Vor allem an den Schulen – für eine großkoalitionäre Erwähnung dieser Hassstrukturen analog zum Antisemitismus, den (nicht allein) Juden zu fürchten haben, wollte man sich wohl nicht die Griffel schmutzig machen. Dass das Antidiskriminierungsgesetz nun endgültig beschlossen werden soll, ist kein Wunder: Das schreibt die Europäische Union vor.

Auch die rot-grüne Regierung lebte von einer gewissen homopolitischen Unentschiedenheit – und musste sich mit einem unionslastigen Bundesrat arrangieren. Aber man hatte mit den Grünen einen Bündnispartner, so wie man in der FDP eine Alliierte gehabt hätte in einer schwarz-gelben Koalition. Es ist so, als hätte unter Rot-Grün in dieser Frage ein Spannungsverhältnis existiert – hier die Gedönsgläubigen, dort die Bürgerrechtsanwälte –, die sich auszuhalten wussten. Nun scheint beschlossen, die Homos, als könne man sich an ihnen klebrig machen, wieder zu den Unberührbaren zu machen: zu Objekten, deren Namen man nicht nennen möchte.

Dass die Union so funktioniert, überrascht dann doch: Etwas mehr Courage hatte man ihr zugetraut; dass die SPD so wie früher Linke überhaupt tickt, ist skandalös – da lugt sie wieder hervor, die alte Kominternlogik von den Haupt- und Nebenwidersprüchen, die als Haupt- und Nebensachen genommen, besser: abgetan werden.

Als obskur muss man wohl die Existenz von Vereinen wie die „Lesben und Schwule in der Union“ (LSU) nehmen oder die der „Schwusos“, der homosexuellen Sozialdemokraten: Ornamente auf den Parteikleidern, versteckt auf den Rückseiten, die nicht mal ins Licht der Öffentlichkeit gehalten werden mögen. Suppenkasper, denen man gern auf Partys begegnet – aber in der Politik nicht mal am Katzentisch.

Grüne (und vielleicht auch Liberale) dürfen sich freuen: Das weite Feld der Bürgerrechtspolitik für Homosexuelle, bei der es nicht auf Goodwill, sondern auf Fakten ankommt, liegt brach. Sie können es auf ihre Agenden setzen – und Lobbying in den Communities betreiben.

Im Übrigen ist das alles keine Katastrophe, das sagen auch die Stellungnahmen, die gestern von homosexuellen Gruppen formuliert wurden. Schwarze und Rote wollen die Fünfziger nicht zurückhaben: Vielen Dank, wird es dort interpretiert, dass wir euch noch immer so peinlich sind.