Die Spieler beim „Spiegel“

Nach der Kritik von „Spiegel“-Erbin Franziska Augstein („ein geschwätziges Blatt“) eskaliert der Kampf um das Magazin. Aber wer will dort eigentlich was wie erreichen? Fünf Psychogramme

VON OLIVER GEHRS

Die Lage beim Spiegel wird unübersichtlich. Erst wollen Jakob Augstein und die Mitarbeiter KG mit dem Chefredakteur über die politische Ausrichtung des Blattes reden, und als Stefan Aust nicht mag und von einer Gefahr für die innere Pressefreiheit spricht, rudern sie zurück. Stattdessen steigt Franziska Augstein auf ein Podium und erklärt den Spiegel zu einem „geschwätzigen Blatt“ unter vielen, das „vom Kopf her stinke“. Am Mittwoch ist High Noon in der Gesellschafterversammlung. Vorher lohnt ein Blick auf die Kombattanten.

Stefan Aust

Was will er? Vor allem, dass ihm niemand reinredet – weder die Gesellschafter noch irgendwelche Redakteure, die sein Weltbild nicht teilen. Das dürfte aus restriktiver Innenpolitik bestehen, der Umwandlung von Ackerland in Pferdeweiden und der Bereitstellung eines Privatjets. Auch die teilweise Verschmelzung mit dem Springer Verlag ist möglich. Für Unmut bei den Gesellschaftern sorgt zudem immer wieder Austs Forderung nach einer Beteiligung an Spiegel TV.

Die Strategie: Stefan Aust spielt im Augenblick perfekt die Rolle der Unschuld vom Lande. Die Kritik an seiner Art des Blattmachens lenkte er geschickt auf die Redaktion um („Die Leistung der Mitarbeiter ist hervorragend“). Dabei weiß jeder, dass beim Spiegel nur noch zwei Männer im politischen Bereich das Sagen haben: Aust und der Berliner Büroleiter Gabor Steingart. Dennoch gibt es plötzlich eine Solidarisierungswelle in der Redaktion, wie sie sonst nur Asterix im gallischen Dorf vergönnt ist. Zu Austs Verteidigungsstrategie gehört auch das exzessive Zitieren des toten Herausgebers, der ihn doch immer gewollt habe. Verschwiegen wird hierbei, dass Rudolf Augstein in seinen letzten Lebensjahren dafür kämpfte, dass eines seiner Kinder die Herausgeberrolle übernimmt.

Die Redaktion

Was will sie? Der Großteil würde sich wahrscheinlich wohler fühlen ohne Aust – schließlich ist die Herrenreiter-Art, wie krude Geschichten über Hitler und gegen Rot-Grün sowie die Einsicht, das der hohe CO2-Ausstoß Hurrikane auslöst, ins Blatt kommen, vielen nicht geheuer. „Bei uns wird jeden Montag die innere Pressefreiheit mit der Maschinenpistole herbeigeführt“, heißt es in der Redaktion. Die ist schizophren wie immer. Einerseits hätte sie gern mehr Meinungspluralismus, andererseits ist sie zu feige, sich gegen den Chefredakteur zu stellen.

Die Strategie: Die Ressortleiter haben sich in einer Erklärung („Eigentum verpflichtet“) gegen die Kritik verwahrt. Absurderweise finden sich unter den Unterzeichnenden viele, die als dezidierte Aust-Kritiker gelten. Aber jeder, der diese Erklärung nicht unterschrieben hätte, wäre wahrscheinlich in einem halben Jahr kein Ressortleiter mehr. Denn wie heißt einer von Steingarts Lieblingssprüchen: Die Währung beim Spiegel ist Angst.

Die Erben

Was wollen Sie? Im Grunde einen neuen Chefredakteur – mit dem Unterschied, dass es bei Jakob Augstein auch der alte sein kann. Er vertraut auf die Selbstreinigungskräfte des Spiegel, während sich seine Schwester Franziska ein Blatt wie die Süddeutsche Zeitung, bei der sie Redakteurin ist, wünscht: Also weniger Kampagnen und kischpreiseliges Schwadronieren, stattdessen politische Analyse und intellektuellen Tiefgang.

Die Strategie: Sehr unterschiedlich. Während Jakob Augstein durchaus die Nähe zum Verlag sucht und schon mal ein wöchentliches Magazin dafür entwickelt, setzt Schwester Franziska auf Konfrontation und ist damit dem Vater am nächsten. Schon bei der Trauerfeier stellte sie Aust bloß, indem sie über Hasen sprach, die dem toten Löwen an der Mähne zuppeln. Nun hat sie öffentlich geäußert, dass der Spiegel Qualitätsstandards verletze. Ob sie damit Recht hat, wird derzeit nicht gefragt, weil ihr kämpferischer Ton sofort Abwehrreflexe erzeugt hat (s. o.).

Gruner+Jahr

Was wollen die? Vor allem Ruhe, eine gute Rendite und keine schlechte Presse. Das alles hat Aust bisher geliefert, auch wenn er die Verlagsleute vom Hamburger Baumwall (zu 25,5 Prozent am Spiegel beteiligt) zuweilen mit seinen Projekten und Geld-Forderungen nervt. Möglicherweise könnte sich Rolf Wickmann, der ehemalige Zeitschriftenvorstand, auch den Posten des Herausgebers vorstellen.

Die Strategie: Ebenfalls Ruhe bewahren. Schlechtes über Aust („omnipotent“) erfährt man nur hinter vorgehaltener Hand. Umso erstaunlicher, dass G+J nach Franziska Augsteins Vorwürfen eine Pressemitteilung herausgab, in der man sich hinter Aust stellte. Gruner+Jahr war es auch, denen an einer Diskussion über die Ausrichtung des Spiegel am wenigsten gelegen war. Macht doch gute Auflage, sagt man sich dort.

Die Mitarbeiter KG

Was will er? Der Vorsitzende der Mitarbeiter-KG Thomas Darnstädt dürfte den Tag herbeisehnen, an dem Aust und Steingart den Spiegel verlassen. Die wähnten ihn bereits entmachtet, da Darnstädt meistens im fernen Spanien weilt und in der Mitarbeiter KG mit Wirtschaftsressortleiter Armin Mahler mittlerweile einen treuen Aust-Mann als Gegenspieler hat.

Die Strategie: Volatil wie der Spiegel selbst. Einerseits ist Darnstädt einer der wenigen, die Kritik an Aust üben. So sprach er sich gegen ein gemeinsames Fernsehgeschäft mit Springer und Bauer Verlag aus, weil es „unspiegelig“ sei. Andererseits ruderte er neulich nach einem Treffen mit Aust zurück und tat so, als hätte es nie Gesprächsbedarf gegeben. Dennoch kann Aust nicht länger ruhen, ehe Darnstädt in Madrid eine Bodega eröffnet.