Die letzten Utopisten

Bloß nicht aufgeben: Auf einer Pressekonferenz, die vor allem Mut verbreiten sollte, stellte sich gestern ein neues „Bündnis für den Palast“ der Republik vor. Mit dabei: Grünen-Politiker, Architekten und Kulturschaffende

Vor einem Monat hat sich das Bündnis gegründet. Es hat mehr als 200 Mitglieder

Eisig kalt ist es im ersten Stock der Palastruine. Mangels Heizung oder Isolierung wärmen sich die versammelten Medienvertreter im derzeit als „Fraktale-Lounge“ dekorierten Saal am Cappuccino. Der junge Architekt Christoph Wagner, der neben sieben anderen auf dem Podium sitzt, trägt nur eine dünne Second-Hand-Lederjacke. Er wärmt sich am Thema seines Vortrags, dem „Bündnis für den Palast“.

Vor gerade mal 26 Tagen habe man sich in einem Wohnzimmer im Prenzlauer Berg gegründet – inzwischen seien aus ursprünglich 25 Bündnis-Mitgliedern über 200 geworden. Man habe die Grünen-Politiker Claudia Roth und Christian Ströbele für das eigenen Anliegen gewonnen, den Regisseur Leander Haußmann, noch einige mehr – und stündlich schwelle die Zahl der Unterstützer an. Es gelte, ruft Wagner in die Lounge, das scheinbar Unvermeidliche in letzter Minute zu verhindern: den Abriss des Palastes der Republik, der laut Bundestagsbeschluss im Januar 2006 beginnen soll.

Neben ihm auf dem Podium sitzen die letzten Utopisten Berlins. Es sind nicht nur die üblichen Stimmen, die seit Jahren lauthals gegen den geplanten Wiederaufbau des Stadtschlosses protestieren und sich für den Erhalt des ehemaligen Volkskammer-Gebäudes stark machen. Neben dem in der Debatte altbekannten Architekten und „Volkspalast“-Veranstalter Philipp Oswalt sitzen unverbrauchte Diskutanten. Junge Architekten wie Wagner, die ehemalige Baustadträtin des Bezirks Mitte Karin Baumert, und der Werbefilmregisseur Marc Wilkins.

Wilkins, der zum ersten Mal auf einer Pressekonferenz spricht, erzählt voller Begeisterung, wie er als in der Schweiz aufgewachsener Engländer in Berlin eine Heimat gefunden hat. Mit welcher Liebe er an dieser Stadt hängt, deren letzte 80 Jahre so wichtig seien wie „für Russland die Zaren“. Für Wilkins ist die Entscheidung zwischen Berliner Stadtschloss oder Palast der Republik eine Generationenfrage. Im Gegensatz zum 63-jährigen Schlossbefürworter Wilhelm von Boddien habe ihn nicht der Kalte Krieg geprägt, sondern die Wiedervereinigung. Der 29-Jährige zitiert aus Tourismusprospekten, die den „Palast der Republik“ als eine der vielen Berliner Sehenswürdigkeiten aufführen. Er wedelt verzweifelt mit dem ADAC-Reiseführer und ruft: „Ich will später mit meinen Kindern nicht in eine schreckliche Weinvesperstube im Stadtschloss gehen müssen!“

Das flammende Plädoyer des Filmemachers trägt zwar wenig Neues zum seit Jahren schwelenden Streit um die Gestaltung des Berliner Schlossplatzes bei. Aber sein dringlicher Appell wärmt die Herzen der Anwesenden. Dann werden auch ein paar Fakten serviert. Philipp Oswalt zerpflückt genüsslich die vom Bauministerium in Auftrag gegebene Machbarkeitsstudie zum Aufbau des Stadtschlosses. Das geplante Humboldt-Forum in der Kubatur des alten Schlosses sei so gar nicht realisierbar. Es laufe auf eine kommerzielle Shopping-Meile mit wenigen kulturellen Zusatzfunktionen hinaus. Das Publikum antwortet mit Buhrufen. Der Architekturkritiker Bruno Flierl, ehemaliges Mitglied der Expertenkommission „Historische Mitte Berlin“, die 2001 einen Abriss unter Vorbehalt befürwortete, greift den Abrissbeschluss des Bundestags als „undemokratisch“ an. Stürmischer Applaus ist die Antwort.

Im Saal ist einigen inzwischen richtig warm. Der Kölner Architekt Claus Anderhalten, der ein eigenes Konzept zum Umbau des Palastes verfasst hat, rechnet vor, dass für nur 60 Millionen Euro aus der bestehenden Ruine ein moderner Kulturstandort entstehen könnte – statt einer jahrelangen Brachfläche mit ungewisser Zukunft. Die Zustimmung ist groß. Bei der anschließenden Fragerunde melden sich unter den etwa 60 Anwesenden nur wenige Pressevertreter. Ein junger Mann ruft dazu auf, den Bundestag mit Petitionen und Briefen zu überfluten. Es herrscht Aufbruchstimmung. Die Moderatorin lädt zum „Stop!“-Tag am Samstag ein, mit Demo, prominenten Rednern und Sambatrommeln. Man rechne mit 5.000 bis 10.000 Teilnehmern.

Die kleine Versammlung zerstreut sich. Es regnet, von außen sieht der Palast nackt und hässlich aus. „Wenn ich ihn heute so sehe, könnte ich heulen“, sagt der Taxifahrer, der die durchgefrorenen Pressevertreter Unter den Linden einsammelt. „Man hätte den Palast wieder richtig schön machen können, aber nun ist es zu spät.“ Wäre der Mann „Bündnis“-Mitglied, er wäre nicht so pessimistisch. NINA APIN

Weitere Infos, u. a. zum „Stop!“-Tag am 19. 11., unter www.palastbuendnis.de