Sie geben ihr Bestes

Jeden Tag wird in den Medien kübelweise Hass auf die politische Klasse ausgekippt: Sie sei faul, bereichere sich selbst, denke sowieso nur an sich. Aber das ist einfach nicht wahr. Eine Gegenrede

VON JOACHIM LOTTMANN

Als der noch amtierende deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder seine Abschiedsrede auf dem SPD-Parteitag in Karlsruhe hielt, fielen allen die Tränen auf und die Emotionen der Delegierten – aber der Kern seiner Rede ging unter. Nur wenige, schon gar nicht die Medien, haben mitgekriegt, dass es sich um die bisher schärfte Medienschelte eines führenden Politikers handelte. Schröder führte den Begriff des „Politiker-Bashings“ ein. Sinngemäß sagte er, das in Deutschland zunehmend beliebte „Politiker-Bashing“, also das blinde Einschlagen der Medien auf die Politiker, werde die Demokratie ruinieren. Wörtlich: „Solche, die es angeht, müssen wissen, dass am Ende dieses Weges nicht mehr Demokratie steht, sondern deutlich weniger.“ In der „Tagesschau“ wurde dann prompt berichtet, irgendwelche parteiinternen Kritiker seien gemeint gewesen. Bei der „Tagesschau“ liest man wohl keine Zeitungen.

Jeder, der morgens die Bild aufschlägt, findet die ersten drei Seiten voll gekleistert mit wüster Pöbelei gegen „die Politiker“. Es ist offenbar die neue (alte?) Volksreligion, denn das Blatt handelt nicht finster verschwörerisch, sondern macht damit Auflage, trifft die Seele des Volkes. Bis zur Wahl am 18. September waren natürlicherweise die regierenden Rot-Grünen „die Politiker“, die als Lügner, Betrüger, Abzocker und so weiter an den Pranger gestellt wurden. Es handelte sich ganz offensichtlich um DAS Feindbild der Deutschen.

Mit der Ankündigung der großen Koalition hat das „Politiker-Bashing“ nicht aufgehört. Zu meiner ziemlichen Überraschung ging es nun erst richtig los. Die „Da grinsen sie frech, die Abzocker-Politiker“-Artikel der Yellow Press gehen munter weiter und treffen nun alle Parteien. Und keiner wird behaupten können, irgendein Medium, ob Zeit, Stern, Coupé, Spex oder auch taz, hätte eine grundsätzlich andere Einstellung. Politiker sind einfach das Letzte, ungefragt, unüberprüft, das versteht sich von selbst, da sind sich alle einig.

Es ist von solch brutaler, proletenhafter Plumpheit, wie da geschrieben wird, dass dagegen selbst eine Schröder-Rede wie reiner Rilke wirkt, wie Poesie. Aber wie ist nun eigentlich die Lage? Wo ist die Wirklichkeit? Wer hat wen verraten? Wer hat um Posten geschachert, in fremde Taschen gegriffen, intrigiert, gelogen, sich persönliche Vorteile verschafft, war dabei faul, feige und fantasielos gewesen?

Jaja, ich weiß, die Politiker. Aber was war WIRKLICH geschehen? Folgendes: In geradezu unfassbar disziplinierter Weise haben 605 Parlamentarier in 18 Arbeitsgruppen, Unter- und Obergliederungen, geräuschlos und sachlich eine Verzahnung des Managements des Landes (eine Firma mit über 30 Millionen Arbeitsplätzen) hingekriegt. Vom ersten Tag nach der Wahl an haben sie – von Stoiber abgesehen – zielgerichtet und sachbesessen gearbeitet. Keiner hat sich profiliert – vergessen wir Andrea Nahles –, keiner wurde ideologisch, keiner nervte mit langen Reden. Sie haben gearbeitet wie die Bienen. Wofür DaimlerChrysler Jahre brauchte und es nicht schaffte, nämlich die Fusion zweier großer gesellschaftlicher Gebilde, benötigten Union und SPD drei Wochen. Allen in 36 Jahren Gegnerschaft gewachsenen Feindschaften zum Trotz wuchsen sie in dieser Mammutarbeit so sehr zusammen, dass alle Reporter insgeheim den Eindruck hatten, die beiden Lager seien ineinander verliebt. Nirgends war es zu sehen, das immer behauptete „Hauen und Stechen“ der schamlosen Egoisten, denen es einzig um den Posten, die Macht, die Eitelkeit, das Niederstechen des Mitbewerbers geht. Und nun zum Ergebnis.

Wurde der Staat kaputtgespart? Wurde die Kaufkraft abgeschöpft? Wurde das Geld den Bürgern aus der Tasche gezogen? Nein, die Schuldenaufnahme wurde sogar noch drastisch ausgedehnt, um die Wirtschaft wenigstens im ersten Jahr NICHT abzuwürgen. Erst wenn die Konjunktur richtig angesprungen ist, will man den Haushalt in den Griff kriegen, vorsichtig, aber dann mit heiligem Ernst und kompromisslos. Hat es jemals etwas derartig Vernünftiges in der Politik gegeben? Es ist, als hätten sich alle Erkenntnisse der letzten zehn Jahre zu einer einzigartigen Gemeinschaftsleistung verdichtet. Und wer handelt verantwortungslos? Die Politiker?