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: Reichlich Raum fürs schmutzige Detail

Wagemut und Kreativität haben sich vom Kino verabschiedet und finden in TV-Serien Exil – zum Beispiel in „Deadwood“

Hollywood ist derzeit in einer schweren Krise, das amerikanische Fernsehen steht in beeindruckender Blüte. Das eine hat mit dem anderen zu tun. Es ist der Hang zu teuren Superproduktionen, der den von wenigen Studios dominierten Kinomarkt in den letzten Jahren hat veröden lassen. Die Produzenten wollen viel sehen für ihr Geld, sie setzen auf bewährte Erfolgsformeln, und sind darum bemüht, dem Publikum nicht zu viel zuzumuten. Das Publikum aber bleibt aus. Inzwischen erwirtschaften die Studios ihre Gewinne vor allem über die in immer kürzeren Abstandsfristen zur Kinoauswertung erfolgenden DVD-Verkäufe.

Unversehens ist dem Kino zudem im Fernsehen ein ernst zu nehmender Konkurrent erwachsen. Nicht zuletzt, weil auch hier der Wiederverkauf auf DVD lukrativ ist, sind die Budgets für Fernsehserien enorm gestiegen. Zugleich bietet das Fernsehen jene Nischen, in denen gedeiht, wofür im Kino immer seltener Platz ist. Der Ort für Wagemut, Kreativität und Anspruch sind dabei weniger die großen öffentlichen Sender als die Pay-TV-Kanäle „Showtime“ und „HBO“. Fern von Zensur und „Nipplegate“ geht hier viel. So wird, wer „Sex and the City“ („HBO“) schon gewagt fand, angesichts der Freizügigkeit der lesbisch orientierten „Showtime“-Konkurrenz „The L Word“ aus dem Staunen nicht mehr herauskommen. Und während im öffentlichen Fernsehen jeder Fluch weggebeept wird, feiert bei „HBO“ eine Serie Erfolge, die ihren Grundwortschatz im Wesentlichen mit den reizenden Wörtchen „fucking“ und „cocksucker“ bestreitet.

Der Name der Serie ist „Deadwood“. Es handelt sich dabei um einen Western, genauer gesagt: um die Sorte von Postspätwestern, die die Phase der Erledigung der eigenen Mythen schon hinter sich hat. Als Regisseur der ersten Folge hat man den in Hollywood derzeit weitgehend beschäftigungslosen Walter Hill gewonnen, der mit „Last Man Standing“ und „Geronimo“ bereits sehr unterschiedliche Western vorgelegt hat. Im Falle von „Deadwood“ bedeutet das Ende des Mythischen die Rückbesinnung aufs Historische. Obwohl die meisten Figuren und Plotelemente fiktiv sind, zeigen sich die Schöpfer der Serie um faktische Akkuratesse bemüht. Die 640 Minuten Erzählzeit der ersten Staffel bieten denn auch reichlich Raum fürs schmutzige und wenig glamouröse Detail. Ein Feigling erschießt den Revolverhelden Wild Bill Hickock (Keith Carradine) hinterrücks beim Poker. Beherrscht wird die entstehende – und historisch aktenkundige – Stadt Deadwood vom skrupellosen Machiavellisten Al Swearengen, mit dem sich zu arrangieren hat, wer überleben will – so zuletzt auch der aufrechte Seth Bullock (Timothy Oliphant), der als positiver Held gegen den von Ian McShane grandios gespielten Swearengen freilich arg blass bleibt.

„Deadwood“ entwirft ein Personen- und Plotgeflecht aus Korruption und Gewalt, käuflichem Sex und verbotener Liebe, aber eigentlich geht es um nichts Geringeres als um die Geschichte von der Gründung der amerikanischen Zivilisation aus der Barbarei, wobei, so die zivilisationsskeptische Zusatzthese, die Zivilisation ihre barbarischen Züge niemals verliert. Die sich im Laufe der ersten Staffel herausbildenden gesellschaftlichen Ordnungsmuster bleiben durchsetzt von Gier und Attentaten, von Heimtücke und Intrigen. Markiert findet sich das unauflösliche Ineinander von Barbarei und Zivilisation auch in der Sprache, deren Derbheit nur die eine Seite ist. Auf der anderen werden dem charismatischen Schurken Swearengen auch Wendungen und Worte in den Mund gelegt, deren idiomatischer und sprachhistorischer Reichtum seinesgleichen sucht. Um das zu genießen, sollte, wer kann, das Original mit Untertiteln ansehen. Die deutsche Synchronisation ist nicht schlecht, bleibt aber angesichts der literarischen Qualitäten des Dialogs auf verlorenem Posten. Mit Kopfschütteln notieren muss man im Übrigen, dass die bei uns veröffentlichte Version auf sämtliche auf den zwei zusätzlichen US-DVDs gebotenen Extras verzichtet. EKKEHARD KNÖRER

„Deadwood“, 1. Staffel, Box mit vier DVDs. Regie: David Milch, Walter Hill, Davis Guggenheim u. a. Erschienen bei Paramount Home Entertainment