Kuckensema
: Das Festival „Animotion“ verbindet Computerspiele und Anime-Filme

Es gibt keine Akte mehr, sondern Levels! Die Dramaturgie des Animationsfilms „Appleseed“ erinnert eher an ein Computerspiel als an das klassische Erzählkino. Ansatzweise sind zwar immer noch Exposition, Konflikt und Auflösung zu erkennen, aber viel wichtiger sind die Kampfszenen, die immer komplexer und schwieriger zu bewältigen sind: zuerst ein Straßenkampf mit Fäusten und Faustwaffen, dann eine Schlacht mit futuristischen Waffensystemen und zuletzt ein schon fast metaphysischer Krieg zwischen Menschen und künstlichen Intelligenzen. Alle 15 Minuten mündet die Handlung in eine Actionszene, die mit ihren Bewegungsabläufen, Perspektiven und Schnittfolgen wie ein abgefilmtes Videospiel wirkt, und man darf sich bei dieser Art von Filmen nicht wundern, wenn im Kinosessel nebenan ein junger Zuschauer seltsame Handbewegungen in der Luft macht: Er spielt nur die Szene mit einem Phantom-Joystick mit.

Computerspiele sind in diesen Zeiten eines der wenigen lukrativen Segmente der Unterhaltungsindustrie. Bereits in den frühen 90ern verkörperte Bob Hoskins die Videogame-Figur Super Mario, dann kamen „Jumanji“ und „Lara Croft“. In Japan sind die Grenzen zwischen Film und Spiel noch fließender, weil beide oft aus der gleichen Quelle stammen: den dort massenhaft gelesenen Comic-Heften, den Mangas. Diese werden zurzeit auch in Europa immer populärer, und so war es an der Zeit, die Schnittstelle zwischen den beiden Medien zu untersuchen. Dabei ist es alles andere als selbstverständlich, wenn nun die Bremer Stadtbibliothek und das Kommunalkino ein ganzes Festival zu diesem Thema veranstalten, denn beide Institutionen stehen traditionell für die hehre Literatur und Filmkunst. Computerspiele sind in der kulturellen Hierarchie so tief unten angesiedelt, wie es früher die Comics waren: Sie gelten unter Bildungsbürgern als Schund! Aber bei der Neueröffnung der Zentralbibliothek wurde schon dadurch, dass es dort auch eine MultiMediaSpielwiese mit einer großen Auswahl an Games gibt, ein Zeichen gesetzt, dass unter der Leitung von Barbara Lison ein etwas zeitgemäßeres Kulturverständnis gepflegt wird. Und auch in ihrem Programm versuchen die zwei Veranstalter einen Spagat zwischen E und U, indem sie für ein intellektuelles Publikum Vorträge und für die jugendlichen User an Terminals neue Spiele und verschiedene Workshops anbieten.

Im Filmprogramm des Kino 46 wird neben dem Sciencefiction-Abenteuer „Appleseed“ die Fortsetzung des internationalen Welterfolgs „Ghost in the Shell“ und das auf 67 Minuten verlängerte Music-Anime der Band Daft Punk mit dem Titel „Interstalla 5555“ gezeigt. „Anachronox the Movie“ ist die Filmadaption eines sehr beliebten Rollenspielabenteuers, dessen futuristische Film-noir-Ästhetik kräftig beim Film „Bladerunner“ abgekupfert wurde. Wirklich interessant wird die Geschichte, wenn die Produktionswege umgekehrt werden und plötzlich die Spieler selber die Filme machen. Mit neuen Programmen, die unter dem Namen „Machinimas“ auf den Markt kommen, kann jeder zu Hause am PC Spielszenen und Spielgrafiken so bearbeiten und schneiden, dass dabei grundsätzlich die gleiche Art von Filmen entstehen, wie die großen Studios produzieren. In einer der Workshops können die Teilnehmer so selber kleine Animationen produzieren und in dem Programm „Fan & Fiction“ werden im Wallsaal der Stadtbibliothek und im Kino 46 drei unterschiedliche Programme mit solchen von Usern animierten Kurzfilmen gezeigt. Spätestens hier zeigt sich, dass an Computerspielen nicht nur dumpf herumgeballert wird. Wilfried Hippen