Glücksbringer aus dem Labor

Japans Industrie reagiert auf die Überalterung der Gesellschaft mit Hightech-Automaten. Zunehmend werden in Altersheimen Roboter eingesetzt. Sie füttern die Betagten oder sind wie die Plüschrobbe Paro zuständig für „Zuneigung und Wärme“

AUS TSUBUKA MARCO KAUFFMANN

Tsukuba, 50 Kilometer nördlich von Tokio, prallen zwei Welten aufeinander: die Universitäten, Forschungsinstitute, Technoparks im Zentrum der Wissenschaftsstadt auf der einen Seite. Daneben die Reisfelder, Bambushaine, Bauernhöfe und das Alters- und Pflegeheim Toyoura. Nicht modern, aber gut erhalten. 100 Person leben hier. Drei Viertel von ihnen leidet unter Demenz.

Nachmittags um drei, Zeit für die Spieltherapie. Krankenpflegerin Noriko hält ein weißes Büschel Tiere unter den Armen, legt sie auf den Tisch und drückt am Bauch auf einen Knopf, den Betriebsschalter. Paro heißen die Plüschroboter, die das Institut für intelligente Systeme aus Tsukuba entwickelt hat. Sie sind einer Ringelrobbe nachempfunden, vier Kilo schwer, mit flauschig weißem Kunstfell, großen schwarzen Augen und langen Wimpern. Paro spielt mit Seniorinnen und Senioren und brachte es als Therapieroboter ins „Guinness-Buch der Rekorde“.

Eine zweite Betreuerin schiebt fünf Seniorinnen in Rollstühlen in den Aufenthaltsraum. Noch liegen die Robben regungslos auf der Tischfläche. Eine alte Frau tätschelt Paro sanft auf den Kopf. Seine Augen schielen nach oben, und er stößt ein wohliges Gurren aus. „Ein Zeichen, dass er zufrieden ist“, lächelt die Patientin. Sie umklammert den Kopf der Roboter-Robbe mit beiden Händen und küsst wieder und wieder die schwarze Plastiknase. „Ist er nicht süß?“, freut sich die 90-Jährige.

Eine andere hält die Pfote eines zweiten Tiers. Paro macht anmutige Bewegungen, dreht den Kopf nicht ruckartig wie die Roboter der ersten Generation, einzig die Flosse steuert etwas hölzern. Eine zweite Frau im Rollstuhl beobachtet die Szene, sitzt regungslos da. Schwester Noriko bringt ihr ein Tier. Die Frau streichelt es mit dem Zeigefinger. Ungeachtet der charmanten Lockrufe Paros scheint sie sich zu ängstigen.

Merken die Patientinnen, dass Paro ein Kunstprodukt aus Sensoren und Polyesterfell ist? „Das hängt von der Tagesform ab“, sagt Schwester Noriko. Selbst wenn sie realisierten, dass sie mit einer Maschine spielten, seien die Heimbewohnerinnen nach der Therapie zufriedener, entspannter, glücklicher.

Dr. Kazuyoshi Wada, der die Spielrunde beobachtet, ergänzt: „Bei Patienten, die so therapiert werden, hat man im Urin niedrigere Stresshormonwerte nachgewiesen.“ Wada mit seinen modisch zerschlissenen Jeans ist nicht Arzt, sondern einer der Forscher am Institut für intelligente Systeme, das den Paro erfunden hat.

Man habe bewusst ein Tier als Vorlage genommen, das viele nur aus Büchern oder Filmen kennen. Das erhöhe die Akzeptanz. Die neueste Serie von Paro – 300 Stück à 2.580 Euro – ist ausverkauft.

Neben Pflegeheimen setzen ihn auch Kinderspitäler ein. Roboter, deren Fell gewaschen und desinfiziert werden kann, eigneten sich besser für solche Einrichtungen als richtige Tiere. Paro beißt nicht und macht keine Kratzer, wirbt Wada. Einige Geräte wurden nach Südkorea, Brunei, Schweden und Italien exportiert.

Schwester Noriko sieht die drei Roboter als Entlastung, betont aber: „Ich freue mich, wenn unsere Bewohnerinnen und Bewohner nach der Spielstunde lachen, zufrieden sind.“ Wie die meisten japanischen Pflegeeinrichtungen findet das Toyoura-Heim nicht genügend Personal.

Die nahe liegende Frage, ob die Roboter dieses Problem lösen, verneint Heimleiter Sakurai Takahiro. „Paro unterstützt uns, aber nicht in dem Maße, dass wir weniger Personal bräuchten. Denn schließlich spielen die Leute nicht unbeaufsichtigt, die Forscher nennen es roboterunterstützte Therapie.“ Eine Therapie, die auch die Kommunikation zwischen den Patienten fördere.

Dennoch sind nicht alle Angehörigen einverstanden, dass sich ihre Väter, Mütter und Tanten mit Robotern abgeben, räumt der Direktor ein. „Ein Wunsch, den wir selbstverständlich respektieren.“ Im Toyoura-Heim spielten bislang rund 50 Personen mit Paro, mehrheitlich Frauen. Wada, der Ingenieur, spricht von einem Experiment mit offenem Zeitfenster.

Ob der Versuch bisher geglückt sei, fragen wir den Heimleiter. „Die Roboter sind hilfreich“, antwortet er, „aber ich bin mir noch nicht sicher, was die älteren Leute letztlich davon haben.“ Vielleicht liege es auch daran, fügt er an, dass er sich technisch noch ausgereiftere Roboter wünsche.

Eine Stunde dauert die Spieltherapie jeweils im Toyoura-Heim, Paro hat noch einige Minuten Batterienreserve, dann muss er zurück an die Ladestation. Schwester Noriko fragt: „Genug?“ Eine Heimbewohnerin hält das Tier auf dem Schoß, streichelt unablässig seinen Kopf und möchte Paro am liebsten mit auf ihr Zimmer nehmen. Sie lässt ihn los, als ihr Pflegerin Noriko erklärt, in zwei Tagen sei wieder Therapiestunde.