Mut wird schließlich doch belohnt

Morgen wird das Marzahner Schülernetzwerk „Menschlichkeit und Toleranz“ (MuT) mit dem Mete-Eksi-Preis ausgezeichnet. Seit über vier Jahren engagieren sich die Jugendlichen gegen Diskriminierung und Rechtsextremismus. Die Jury lobt besonders die konstante Arbeit des Netzwerks

September 2001 in Marzahn: Vor dem Rathaus treffen sich etwa 90 Jugendliche. Kurze Zeit später schwärmen sie in kleinen Gruppen aus. Die Abgeordnetenhauswahlen stehen an, und in Marzahn hängt an jedem dritten Laternenpfahl ein NPD-Plakat. Auch rassistische Schmierereien haben zugenommen, doch niemanden scheint das zu stören. Niemanden außer den Jugendlichen des Schülernetzwerks Menschlichkeit und Toleranz – kurz MuT. In kleinen Gruppen beginnen sie, die Parolen zu beseitigen. „Farbe bekennen war unser Motto“, erinnert sich die heute 19-jährige Cathleen Lieball an die erste Aktion des Schülernetzwerks. Die Aufmerksamkeit der Presse hielt sich damals noch in Grenzen.

Vier Jahre später hat sich das geändert. Seit feststeht, dass MuT morgen der erste Preis des Mete-Eksi-Fonds verliehen wird, ist Cathleen gefragt. Wie zum Beweis klingelt ihr Handy – das Abendblatt ist dran.

Während sie telefoniert, übernimmt Janek Fuchs. Der 18-Jährige ist neben Cathleen das letzte heute noch aktive Gründungsmitglied von MuT. „Eigentlich engagieren wir uns gegen jede Art der Diskriminierung“, erklärt der Schüler. „Allerdings liegt unser Schwerpunkt beim Rechtsextremismus und Antisemitismus.“ Das scheint bei einem Stadtteil wie Marzahn auf der Hand zu liegen. Bei den letzten Bundestagswahlen holte die NPD hier in einigen Wahllokalen bis zu 10 Prozent der Stimmen. Dass es sich bei seinem Stadtteil aber um eine Nazi-Hochburg handelt, glaubt Janek nicht. Ab und zu würde man auf der Straße als „Scheißzecke“ beleidigt, wenn man, wie er, lange Haare trägt. In manchen Diskotheken käme es auch zu kollektiven Hitlergrüßen, wenn der Schlager „Die Hände zum Himmel“ gespielt werde. „Andererseits ist die Szene hier kaum organisiert. Es gibt weder für Rechte noch für Linke öffentliche Orte, wo man sich treffen kann.“

Auch Janek und Cathleen hatten mit der schlechten Infrastruktur Marzahns ihre Probleme. Beide wollten sich schon früh sozial engagieren, fanden aber nicht die passenden Angebote: „Wir hatten die obligatorische Antifa-Gruppe und die PDS-Jugend“, erinnert sich Janek. „Wenn man sich organisieren wollte, musste man sich also für eine bestimmte politische Ideologie entscheiden. Das hat uns abgehalten“, ergänzt Cathleen.

Wie Janek und Cathleen ging es offensichtlich vielen Jugendlichen in Marzahn. Als das „Eltern-Lehrer-Netzwerk“ des Stadtteils 2001 eine Fahrt zum Gedenkstätte des Frauenkonzentrationslagers Ravensbrück organisierte, nahmen 300 Schüler teil. Ziel dieser Fahrt war es, neue Formen des sozialen Engagements in Marzahn anzuregen. Zum ersten Nachtreffen kamen etwa 90 Interessierte. Daraus entstand MuT.

Zwar hielt die erste Euphorie nicht lange an. Aber schließlich bildete sich eine zehn- bis fünfzehnköpfige Gruppe, die seit über vier Jahren in wechselnder Besetzung aktiv ist. Die Höhepunkte jeden Jahres sind die Gedenkfahrten zu den ehemaligen Konzentrationslagern Ravensbrück und Buchenwald sowie zum jüdischen Friedhof Weißensee. „Wir versuchen über die geschichtliche Betrachtung die Schüler in Marzahn aufzuklären. Das könnte man auch Sozialarbeit nennen“, sagt Janek, dessen Eltern Historiker sind, und schmunzelt.

Über die Jahre haben sie ein kleines Netzwerk in Marzahn aufgebaut. Sie sind bei Stadtteilfestivals präsent und kooperieren mit dem Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes.

Eberhard Seidel, Geschäftsführer von Schule ohne Rassismus und Mitglied des Mete-Eksi-Kuratoriums, hat das schwer beeindruckt: „MuT fällt besonders durch seine konstante Arbeit auf.“ Bereits 2003 erhielt MuT den Anerkennungspreis des Kuratoriums. „Außerdem ist es eine der wenigen Schülerinitiativen, die den eigenen Schulhof verlassen. Diese Gruppe will wirklich eine andere Stimmung in ihren Kiez bringen. Sie sind ein gutes Beispiel für eine aktive Zivilgesellschaft“, so Seidel weiter.

Das Lob scheint den beiden Jugendlichen fast ein bisschen unangenehm zu sein. Dennoch freuen sie sich auf die Preisübergabe morgen. „Der Gewinn war ein starker Motivationsschub für unsere ganze Gruppe“, sagt Cathleen. Was sie mit den 2.000 Euro Preisgeld machen werden, wissen sie noch nicht. Erst mal müssten sie die Überraschung verdauen. „Wir haben aber noch genug Projekte in der Schublade liegen,“ versichern beide.

BENJAMIN BRAND