berliner szenen Hormonelle Pufferzone

Vor Anker gehen

Es gibt Läden, die haben einen schlimmen Ruf, werden ihm voll gerecht und sind trotzdem unschlagbar gut. Früher nannte man so was wohl verrucht. Unter Menschen, die hemmungslos auf Beutezug sind, kann sich eine offene und von jeglicher verklemmten Coolness befreite Stimmung ausbreiten.

So auch in der Ankerklause, dem Abschleppladen schlechthin. Man sieht immer wieder dieselben Gesichter, und manchmal kennt man auch den dazugehörigen Rest. Dies ist kein Ort für Empfindsamkeiten, verklemmte Trainingsjackenträger oder Musiksnobs. Es ist wie am Wasserloch in der Savanne: Leben und leben lassen. Donnerstags ist Diskotag in der Ankerklause, und ich wollte ausgehen. Nach ein paar Tänzchen und Drinks stand ich rum und beguckte mir das lustige Treiben.

Ein junger Mann verwickelte mich in ein Gespräch über Körpergröße und Partnerwahl, in dessen Verlauf deutlich wurde, dass ich in Begleitung gekommen war. „Was willst du denn hier, wenn du deinen Freund mitbringst?“, tadelte er mich entrüstet. Eine, wie ich fand, sehr interessante Frage, die ich, einer spontanen Eingebung folgend, umgehend und befriedigend klären konnte. Ich war nämlich als Puffermasse da! Und somit elementar wichtig. Denn wo so viel Verlangen ungefiltert abgestrahlt und durch Hitze, Enge, Alkohol und exzessiven Tanz auf kleinstem Raum verdichtet wird, kann es ohne absorbierende Puffer leicht zur Überladung kommen. Mein Gegenüber war sofort überzeugt und reagierte denn auch äußerst charmant: Er bedankte sich bei mir für meinen selbstlosen Einsatz. Höflichkeit und Charme unter hormonellen Extrembedingungen – die Welt kann nicht durch und durch schlecht sein. JULIA RITTER