„Die Umweltzone kommt zu spät“

Der Senat gibt sich zu wenig Mühe bei der Bekämpfung von Feinstaub, sagt die Umweltökonomin Claudia Kemfert. Sie schlägt eine eigene Plakette für Berlin vor, mit der die Verkehrsbelastung drastisch reduziert werden könnte

taz: Frau Kemfert, welche Note geben Sie dem rot-roten Senat bei der Feinstaubbekämpfung?

Claudia Kemfert: Sagen wir … eine Drei. Nein, eine Drei minus.

Keine gute Wertung.

Nein, zu einem meiner Studenten würde ich sagen: Schön, Sie haben erste Schritte gemacht. Aber Sie müssen härter arbeiten.

In Straßen wie der Frankfurter Allee wurden inzwischen an fast doppelt so vielen Tagen höhere Feinstaubwerte gemessen als erlaubt. Dennoch ist die Debatte völlig eingeschlafen. Woran liegt das?

Das ist eine gute Frage, das Land begeht ja offenen Rechtsbruch. Die heftige Diskussion im Frühjahr haben Interessengruppen angefacht. Dass jetzt Ruhe herrscht, ändert nichts an der Dringlichkeit des Problems. Die Gesellschaft muss weiterdiskutieren, die Politik muss Wege finden, die Feinstaubbelastung zu mindern – gerade in einer Großstadt wie Berlin.

Ist der Plan der Verkehrssenatorin richtig, ab 2008 die Innenstadt für Dieselstinker zu sperren?

Ja. Eine Umweltzone mit möglichst geringer Abgasbelastung anzustreben ist ambitioniert – und wird die Feinstaubmenge in der Luft deutlich senken. Die Innenstadt soll ja für alle Autos, die nicht die Euro-Norm 2 erfüllen, gesperrt werden, also zum Beispiel für alte Lieferwagen.

Umweltorganisationen wie der BUND halten dagegen, die Sperrung müsste früher kommen. Haben Sie Recht?

Der Senat hat eindeutig zu lange gezögert. Er müsste die Umweltzone früher und rigider einführen. Ein Beispiel: Erst ab 2010 sind für Autos innerhalb des S-Bahn-Rings die Euro-Norm 3 und ein Rußfilter Pflicht. Viel zu spät! Wenn Sie sich heute einen Golf kaufen, erfüllt der längst die Euro-Norm 4. Wäre ich Verkehrssenatorin, würde ich ab 2008 nur noch solch abgasarme Autos in die Innenstadt lassen – zum Schutz der Anwohner.

Ginge das tatsächlich so schnell? Die Verkehrssenatorin argumentiert, Bedingung für eine Umweltzone sei, bundesweit eine Kennzeichnungspflicht für Autos einzuführen.

Man könnte auch überlegen, eine eigene Plakette nur für Berlin einzuführen. Die Stadt Rom hat das schon im Jahr 1989 vorgemacht. Sie sperrte zentrale Gebiete komplett. Sie sind nur für Anwohner freigegeben; selbstverständlich greifen Ausnahmen für Geschäfte oder Krankenhäuser. Die nötige Anwohnerplakette geben die Behörden aus. Eine solche, separate Lösung wäre auch in Berlin möglich – unabhängig von anderen Bundesländern.

Warum zögert der Senat?

Gute Frage. Der Prozess insgesamt verläuft sehr zäh. Zudem macht sich etwa der Einzelhandelsverband Sorgen um den Zulieferverkehr, durchaus berechtigt. Aber dafür müssen eben Ausnahmeregeln geschaffen werden. Was ich vermisse, sind außerdem wirtschaftliche Anreize für die Menschen, auf Bus und Bahn umzusteigen.

Die alljährliche, gerade wieder aktuelle Preissteigerung bei BVG- und S-Bahn-Tickets verschärft also auch das Feinstaubproblem?

Über Umwege schon. Die Systeme Umwelt, Ökonomie und Verkehr überschneiden sich ja ständig. Solange es in der Innenstadt viele günstige Parkplätze gibt, überlegt sich jeder Autofahrer zweimal, ob er ein teures BVG-Tagesticket kauft. Um eine lebenswertere Stadt zu schaffen, könnte man zum Beispiel an dieser Stellschraube stärker drehen: Parkgebühren erhöhen, Ticketpreise senken. Aber dafür müssten sich Senat und BVG natürlich absprechen.

Hm, schwierig. Schadet eine Umweltzone nicht der Wirtschaft? Das fürchten manche Einzelhändler.

Sie hat mehrere Effekte. Positiv an einer rigorosen Regelung wäre, dass sie den öffentlichen Nahverkehr deutlich stärkt. Unternehmen, die fortschrittliche Technologien, etwa bei Partikelfiltern, entwickeln, könnten einen Boom erleben. Andererseits sind die Geschäfte in der Innenstadt auf Kundenverkehr und Zulieferer angewiesen. Ausnahmen von der Regel sind also wichtig, wie gesagt. Aber eine Wirtschaftsgefährdung sehe ich in Berlin noch längst nicht, weil es hier eher zu zäh läuft.

Wäre eine Innenstadt-Maut wie in London hier denkbar?

Nein, weil sich die Städte baulich stark unterscheiden. Die Londoner Innenstadt ist über wenige Zufahrtsstraßen zu erreichen, hier macht die Installation von Kameras Sinn.

Und sie lohnt sich. Die Stadt profitiert von den Mauteinnahmen; seit Einführung der Maut ist die Zahl der Nutzer des öffentlichen Nahverkehrs um über 30 Prozent gestiegen, die Luft ist besser geworden. In Berlin wäre ein Mautsystem unglaublich aufwändig, weil zu viele Straßen überwacht werden müssten. Einzelne Wohngebiete zu sperren ist hier die bessere Variante.

Interview: ULRICH SCHULTE