Alles ist erleuchtet

Glühbirnen und Disko-Lampen, fluoreszierende Flüssigkeiten und Strahlenhaufen: Das Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe (ZKM) zeigt die Überblicksschau „Lichtkunst aus Kunstlicht“

VON GEORG PATZER

„Es werde Licht“, heißt es in der Bibel. In Karlsruhe wird das Gegenteil verlangt: „Es werde dunkel.“ Im Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM) gingen die Lichter aus, jedenfalls in den Lichthöfen des Museums für Neue Kunst – damit die Kunst umso heller strahlen kann.

Und sie strahlt. In der ersten großen Halle blinken und glitzern in bunten Silvesterfarben drei grell in alle Richtungen explodierende Strahlenhaufen, daneben ist eine riesige Stachelkugel aus Holzlatten zusammengesteckt, in der sich Plastikwanne, Gießkanne und anderes Gerät findet sowie weiß leuchtende Röhren: ein „schwarzes Loch“, das alles in seinem Umkreis einsaugt. Daneben lockt ein ypsilonförmiger Gang aus runden, mit Glühbirnen bestückten Stahlkreisen zum Durchgehen: Unendlich scheint er sich fortzusetzen, bis man verdutzt merkt, dass geschickt aufgestellte Spiegel die Ferne nur vortäuschen, ein vervielfachtes Licht, eine offene Weite.

„Lichtkunst aus Kunstlicht“ heißt die große Ausstellung, die Peter Weibel, Vorstand des ZKM, als die schönste, vor allem als „größte enzyklopädische Ausstellung“ bezeichnet, die das Haus je gemacht hat. 350 Objekte von 235 Künstlern werden gezeigt, von den Zwanzigerjahren bis heute: Seit 1966 wurde kein solcher Überblick mehr gewagt. Weibel empfahl denn auch Wanderschuhe: Selbst ein nur kursorischer Überblick kann Stunden dauern. Alle drei Stockwerke des Museums sind gefüllt mit Lichtkunstobjekten, in abgedunkelten Extrahäuschen, in abgetrennten Nischen, überall leuchtet die Kunst, selbst auf dem Dach des ZKM: Sieben Kilometer weit strahlt dort das Leuchtfeuer, das laut Gregor Jansen, dem neuen Chef des Museums für Neue Kunst, „die Leuchtturmfunktion des ZKM“ sichtbar machen soll.

Die Ausstellung beginnt mit abstrakten Avantgardefilmen von Walter Ruttmann oder Hans Richter aus den Zwanzigerjahren; es sind formspielerische Experimente mit geometrischen oder amöbenhaft wabernden Formen. Abstrakte Neonröhrenkunstwerke von 1946 von Gyula Kosice schließen sich an. Als späte Antwort ist eine Arbeit von Lucio Fontana zu sehen, der eine blau leuchtende Neonröhre in einen Leinwandschlitz steckte. Unter Obertitel wie „Lichtkinetik“, „Neorealismus, „Flash-Lights“ oder „Logo-Kultur und Lichtgrafik“ sind die Werke im ZKM geordnet. Alles wollte das ZKM irgendwie mit erfassen und schöpfte aus dem Vollen. Neben den bisherigen Sammlern ist als neue Leihgeberin Francesca von Habsburg dabei, die mit ihrer Stiftung für Zeitgenössische Kunst T-B A21 die Sammlertätigkeit ihrer Familie Thyssen-Bornemisza in der vierten Generation fortführt. Das „Y“ von Carsten Höller, spannende Arbeiten von Manfred Erjautz, Olafur Eliasson oder Jason Rhoades kommen von ihr. Auch die „Global Domes“ von John Armleder: ein Raum mit zwölf kugelförmigen Disco-Lampen, die, in Augenhöhe aufgehängt, nicht nur die Körper- und Raumwahrnehmung bis in den Schwindel treiben, sondern mit ihrem feinsinnigen Licht-und-Spiegel-Spiel auch poetischer, bewegter Ruhepunkt sind.

Solche Ruhepunkte gibt es einige im ZKM. Man braucht sie, denn nicht nur die Füße, auch die Augen strengt die sehr helle, bisweilen gleißend grelle Ausstellung an. Und so freut man sich, wenn man die meditativen Räume entdeckt und die Arbeiten, die einen durch ihre leise Intensität gefangen nehmen. Wie die „Japanese Box“ von Jon Kessler, eine runde Trommel mit japanischem Interieur, Tatamimatten, Blumen, Computerchip und japanischem Volkslied: ganz leise und für kurze Zeit verzaubernd. Oder der „Identity Analysis“-Raum von Helga Griffiths: ein still berührender, dunkelgrüner Raum, mit einem spiralförmig aufgehängten Netz, in dem in Reagenzgläsern eine fluoreszierende Flüssigkeit vor sich hin leuchtet. Da wird man sanft auf sich zurückgeworfen.

Anspielungsreiche, reduzierte, poetische, minimalistische und interaktive Positionen sind in der komplexen Ausstellung zu finden, große Installationen und kleine Werke, die Licht als Metapher oder Material begreifen. Wenig Witziges ist dabei: Jean Tinguelys von der Decke hängender Drache, der vor sich hin rattert und mit seinem Glühbirnenschwanz wedelt. Die meiste Kunst aber ist ernst, wie die Arte Povera, die auf ihre strenge, oft geometrische Art das Material in den Vordergrund stellte, wie der Neorealismus von Alfredo Jaar, Kazuo Katase oder Joseph Beuys, die Concept Art von Joseph Kosuth oder Keith Sonnier. Spielerischer sind die lichtkinetischen Arbeiten der italienischen Gruppo T oder von Vladimir Bonacic, manches tendiert ins Design – „unsere Lampenabteilung“, sagt Jansen.

In kleinen Dosen genossen ist die ZKM-Ausstellung sehr anregend. Nirgendwo sonst bekommt man so einen umfassenden Überblick über die Kunst mit dem Licht. Einige historisch gewordene Arbeiten wurden sogar eigens nachgebaut. Als Ganzes ist sie aber zu groß, zu überladen und ermüdet daher schnell. Man kann schon jetzt damit rechnen, dass viele Kunstwerke nicht funktionieren. Ärgerlich ist vor allem, dass eine theoretische Untermauerung oder historische Einbettung nicht stattfindet. Es gibt ein kleines Broschürchen und einen Zettel für die Besucher. Der zweisprachige Katalog, mit Aufsätzen von Peter Sloterdijk, Friedrich Kittler und anderen, soll in drei Wochen erscheinen. Vielleicht: Weder auf den Erscheinungstermin noch auf den Preis wollte sich das ZKM festlegen.

Bis 1. Mai 2006