Parlament fasst Bürgerrechte ins Auge

Die Grünen machen sich heute im Parlament mit einem Antrag für wirksame Volksbegehren stark. PDS und FDP finden die Idee gut, kritisieren aber „Profilierungssucht“. Nur die SPD glaubt, dass sich das Projekt bis zur Wahl nicht mehr stemmen lässt

von ULRICH SCHULTE

Wie viel Macht geben wir dem Volk ab? Die höchst spannende Frage stellen sich die Abgeordneten heute in der Plenardebatte. Die Grünen bringen einen Antrag ein, in dem sie niedrigere Hürden und mehr Einfluss für Volksbegehren auf Landesebene fordern. „Wir möchten den Bürgern zügig mehr demokratische Rechte einräumen“, sagt Grünen-Fraktionschef Volker Ratzmann. Damit erreicht der in der vergangenen Woche entbrannte Streit um eine schnelle Reform der Volksbegehren (die taz berichtete) den parlamentarischen Raum – und findet seinen Höhepunkt.

Die Grünen wollen noch vor der Abgeordnetenhauswahl im September 2006 die Verfassung ändern. Diese erlaubt zwar Volksbegehren, schränkt die Macht der Bürger aber gleichzeitig stark ein. Deshalb ist seit In-Kraft-Treten 1995 kein einziger Volksentscheid zustande gekommen.

Ginge es nach den Grünen, wäre damit bald Schluss: Waren bisher zum Beispiel 25.000 Unterschriften nötig, um einen Antrag auf ein Begehren zu stellen, halten sie 10.000 für ausreichend. Die Ökopartei will es den Bürgern auch ermöglichen, Themen per Volksbegehren anzuschieben, die den Landeshaushalt betreffen. Dies ist im Moment unzulässig. „Durch den Gesetzeswortlaut bleibt zu viel außen vor“, sagt Ratzmann.

Mit ihrem Vorstoß stehen die Grünen nicht allein da. Die Idee, die Beteiligungsquoren für Volksbegehren zu senken und mehr Themen zuzulassen, finden – die CDU ausgenommen – alle Parteien sympathisch. Schon die Einführung von Bürgerentscheiden in den Bezirken stützte eine breite Koalition. Die Auseinandersetzung betrifft nur den Zeitplan der Verfassungsänderung. Vor der Wahl oder nach der Wahl, das ist die Frage, und die Konfliktlinie verläuft eindeutig: Alle gegen die SPD.

Denn nach Ansicht von SPD-Partei- und -Fraktionschef Michael Müller ist die Zeit bis zur Wahl zu knapp: „Im Mai beginnt der Wahlkampf, bis dahin brauchten wir in der Koalition ein abgestimmtes Konzept.“ Nach jahrelangen Debatten um die Reform in den Bezirken hält Müller das für unwahrscheinlich. „Außerdem ist es sinnvoll, zunächst in den Bezirken zu beobachten, wie die Bürger das Instrument annehmen.“ Müllers Fazit: Starke Bedenken, ja, aber die Tür sei noch nicht zu.

Die Argumentation stößt beim Koalitionspartner auf Unverständnis. „Gerade im Wahlkampf könnte Rot-Rot doch damit punkten, sich den Anliegen der Bürger zu öffnen“, sagt Klaus Lederer, der rechtspolitische Sprecher der Linkspartei. Er pocht auf die Verabredung der Fraktionen nach Start der Bürgerentscheide in den Bezirken Mitte Juli: „Alle waren sich einig, jetzt im Land loszulegen.“ Lederer fände es „sehr schade“, sich daran nicht zu halten.

Neben PDS und Grünen will auch die FDP die Vorarbeit in den Bezirken für ein schnelles Durchstarten nutzen. Die Zeit reiche völlig, findet Vizefraktionschef Alexander Ritzmann: „Es geht schließlich nur darum, ein bestehendes Instrument zu reformieren – nicht um die Konstruktion eines Raumschiffes.“ Auch die FDP stünde also bereit, sofort in die „Arbeit an bürgerfreundlichen Entscheiden“ einzusteigen.

Wo ein Wille ist, ist in diesem Fall aber kein Weg. Denn den drei Parteien nutzen die Bekundungen wenig, weil sie ohne die SPD nicht die nötige Zweidrittelmehrheit im Parlament zustande bekommen.

Die Volksbegehren-Fans vom Verein Mehr Demokratie begrüßen den Grünen-Antrag. „Endlich wird die Debatte neu angeheizt“, sagt Sprecher Michael Efler. Doch im Parlament beäugt man ihn eher kritisch. Es sei „wenig zielführend“, ohne Vorabsprache auf der Arbeitsebene mit einem Antrag vorzupreschen, sagt Lederer. Auch Ritzmann glaubt: „Mit ihrer Profilierungssucht setzen die Grünen das Projekt fahrlässig aufs Spiel.“