Urnengang im Krieg

Im Kampf um die Sitze in Tschetscheniens Parlament sind Bestechung und Erpressung gang und gäbe

AUS MOSKAUKLAUS-HELGE DONATH

Am Sonntag sind die Tschetschenen aufgerufen, ein neues Parlament zu wählen. Damit ist auch die letzte Etappe auf dem Weg zur „Stabilisierung“ der kaukasischen Kriegsregion aus Sicht des Kremls abgeschlossen. 2003 nahmen die Tschetschenen eine neue Verfassung an und stimmten noch im selben Jahr für einen Präsidenten. Von freien Wahlen konnte aber dabei nicht die Rede sein, die Wähler waren massivem Druck ausgesetzt. Mit der Wahl des Parlaments verfügt die Republik nun endgültig wieder über alle Institutionen, die sie zu einem vollwertigen Subjekt der Föderation erheben. Die „Normalisierungsstrategie“, die die stufenweise Rückgabe der Zuständigkeiten an Grosny vorsah, ist aufgegangen. Daran möchte zumindest der Kreml gerne glauben.

Die Wirklichkeit in Grosny sieht anders aus. Krieg und Terror bestimmen nach wie vor den Alltag. Erst in der letzten Woche ermordeten betrunkene russische Soldaten drei Mitarbeiter des tschetschenischen Innenministeriums. Sie hatten sich den Erpressungsversuchen der Militärs widersetzt, die Geld und Habseligkeiten erpressen wollten. Kurz zuvor waren bei dem Artilleriebeschuss der Ortschaft Starije Atagi sechs Einwohner schwer verletzt und acht Häuser zerstört worden.

Das entspricht nicht dem Bild der Normalität, das von Moskau verbreitet wird. Auch die Wahlen am Sonntag finden in einem Kriegsgebiet statt. Die meisten europäischen Organisationen verzichteten daher auf eine Teilnahme als Wahlbeobachter. Lediglich der Europarat schickt eine Delegation, die die „allgemeine Lage“ einschätzen soll.

Russische Menschenrechtsorganisationen sprechen von „einer Atmosphäre der Angst“, in der die Wahlen stattfinden. 353 Kandidaten bewerben sich um 58 Parlamentssitze, und fast 600.000 Bürger sind laut Wahlkommission stimmberechtigt, darunter auch 34.000 in der Republik stationierte russische Militärs. Dass der regionale Ableger der Kreml-Partei Einiges Russland den Löwenanteil der Mandate einheimsen wird, gilt als ziemlich sicher.

Bei der Aufstellung der Wahllisten war es im Vorfeld bereits zu einigen Unregelmäßigkeiten gekommen. Vizepremier Ramsan Kadyrow, der die inoffizielle Nachfolge seines Vaters, des im Jahr 2004 ermordeten Präsidenten Achmed Kadyrow, angetreten hat, soll versucht haben, Vertreter anderer Parteien zu einem „gemeinsamen Deal“ zu bewegen. Gegen ein paar Listenplätze für Gefolgsleute und Mitglieder seines Clans wollte er ihnen die Teilnahme an der Wahl garantieren. Eigentlich entscheidet darüber die Wahlkommission.

Nicht so in Tschetschenien, das von dem selbstherrlichen 30-jährigen Ramsan wie ein privatisiertes Jagdrevier geführt wird. Ein breites Wählerbündnis, dem neben der Republikanischen Partei des unabhängigen Duma-Abgeordneten Wladimir Ryschkow, auch die Pensionärspartei, die Partei Unsere Wahl, die tschetschenischen Kommunisten und zwanzig Menschenrechtsorganisationen angehörten, weigerte sich und wurde von der Wahl ausgeschlossen. So wie es Ramsan auch prophezeit hatte.

Dafür qualifizierte sich aber die liberale Partei Union der rechten Kräfte. Deren prominentester Kandidat ist Magomed Chambijew. Er diente der Separatistenregierung des im Frühjahr ermordeten Präsidenten Aslan Maschadow bis vor einem Jahr als Verteidigungsminister. Er soll die Seite gewechselt haben, nachdem die berüchtigten Todesschwadronen Kadyrows einige Familienmitglieder als Geiseln genommen hatten.