Hochspannungs-Seiltanz bis zum Kurzschluss

Die Stromausfälle sind keine Folge mangelnder Infrastruktur: Das deutsche Stromnetz ist „auf höchstem Niveau“

„Solche extremenWetterbedingungen hältkein Netz der Welt aus“

BOCHUM taz ■ Gestern am frühen Abend saßen noch immer 120.000 Einwohner des nördlichen Münsterlands in Kälte und Dunkelheit. Von jeder Stromversorgung abgeschnitten waren etwa die 20.000 Einwohner des Städtchens Ochtrup. Und viel Hoffnung konnte Sebastian Ackermann, Sprecher von Nordrhein-Westfalens größten Energieversorger RWE Energy, nicht machen: „Eine Vollversorgung ist im Moment nicht absehbar.“

Verantwortlich für die massiven Stromausfälle sei aber nicht RWE, betont Ackermann: Schnee- und Eisregen hätten besonders die Hochspannungs-Überlandleitungen mit einem bis zu 15 Zentimeter starken, oberarmdicken Eispanzer überzogen. Durch starken Sturm hätten die Leitungen stark zu schwingen begonnen – dieser „Seiltanz“ verursacht Spannungsschwankungen bis zum Kurzschluss.

Spekulationen, RWE habe nicht genügend investiert und gerade im ländlichen Nordmünsterland auf veraltete Technik gesetzt, weist Ackermann dagegen zurück: „Wir verwenden die gleichen Masten und Leitungen wie in Bayern oder Österreich.“ Dennoch waren Strommasten unter der Eislast zusammengeknickt, Autobahnen wie die A 31 mussten wegen tief hängender Starkstromleitungen bis zu 46 Stunden gesperrt werden.

RWE habe sein Netz in den vergangenen Jahren massiv modernisiert, bestätigt auch Reinhard Rossig, bis zu seiner Pensionierung Leiter der Hochspannungsleitungsbau-Einheit beim Elektrokonzern Alstom. „Solche extremen Wetterbedingungen hält kein Netz der Welt aus“, so der Elektroingenieur. Die mit „Eisraupen“ gepanzerten Hochspannungsleitungen könnten mehrere Meter hin und her schwingen, Kurzschlüsse seien dann unvermeidbar. „Dann gibt es nur Eines: abschalten“, sagt Rossig.

Zwar gebe es im Hochspannungsleitungsbau drei verschiedene „Eislaststufen“. Im Flachland werde aber nur eine maximal 1,5 Zentimeter dicke Eisschicht einkalkuliert. Alles andere sei zu teuer, so Rossig: „Natürlich werden nicht überall Standards wie im Hochgebirge umgesetzt“, sagt der Ingenieur. „Das Stromnetz in Deutschland ist auf höchstem Niveau – technisch, aber auch bei den Kosten.“

ANDREAS WYPUTTA