Wen das Monstervirus sticht

Kondome werden in NRW immer seltener benutzt: Die Zahl der HIV-Neuinfektionen stieg um mehr als 20 Prozent. Trotzdem bangt die Aids-Hilfen um ihre vom Land finanzierten Präventionsprojekte

von MIRIAM BUNJES

Der Aids-Virus verbreitet sich zur Zeit rasant in NRW: Das Robert-Koch-Institut verzeichnet in seiner gestern veröffentlichten Aids-Statistik für das letzte Quartal 2004 und das erste 2005 zwanzig Prozent mehr gemeldete Neuinfektionen als zu Beginn des Jahres 2004. Die Seuchen-Forscher gehen von einer Dunkelziffer von rund zehn Prozent aus. Demnach haben sich allein im vergangenen halben Jahr 550 Menschen aus NRW neu infiziert. Insgesamt leben hier 10.500 HIV-Positive, mehr als 80 Prozent davon sind Männer. Die meisten Neuinfizierten sind zwischen dreißig und vierzig Jahren alt: Sie haben den Aids-Schock der 80er bewusst miterlebt.

Mit dieser rapiden Veränderung steht NRW nicht allein da: Überall in Deutschland gibt es mehr Neuinfektionen. „Jetzt zeigt sich auch in Zahlen, was wir seit Jahren beobachten“, sagt Guido Schlimbach von der Aidshilfe NRW. „Das Risikoverhalten der Menschen verändert sich. Sie nehmen Aids nicht mehr als große Bedrohung war.“

Die nordrhein-westfälischen Aids-AktivistInnen beobachten diesen Trend insbesondere bei homosexuellen Männern. In zahlreichen Internetforen werden „Gummi-Parties, an denen an den entscheidenden Stellen das Gummi fehlt“ und garantiert „Safer-Sex freie Räume“ angekündigt. „Heutzutage können Risikobereite problemlos Gleichgesinnte in einem der vielen Internet-Foren finden“, sagt Schlimberg. Und auf den so genannten Bareback-Parties, wo die Anonymität abgedunkelter Räume dem Sex einen besonderen Kick verleihen soll, seien Kondome in der Regel unerwünscht. „Immer mehr homosexuelle Männer schätzen Aids auch nicht mehr als tödliche Krankheit ein“, sagt Schlimbach. „Es gibt ja immer bessere Medikamente und die Krankheit bricht lange Zeit nicht aus.“ Davon wollten sich die Männer den Spaß nicht verderben lassen.

Das Ergebnis: Homosexuelle Männer unter den HIV-Infizierten stellen mit Abstand die größte Gruppe – rund 70 Prozent der Infizierten sind Männer, die mit Männern schlafen. 20 Prozent der Betroffenen steckten sich beim Hetero-Sex an und rund neun Prozent der Ansteckungen geschahen beim Drogenkonsum über verseuchtes Spritzengesteck.

Die 42 nordrhein-westfälischen Aids-Hilfen wollen deshalb verstärkt an diesen Zielgruppen arbeiten. Um homosexuelle Männer zu erreichen, klicken sich die Mitarbeiter inzwischen verstärkt durch die verschiedenen Internetforen und sprechen dort die Gummi-Gegner an. Außerdem ziehen Anti-Aids-Aktivisten in schrillen Kostümen durch die Clubs und verteilen Kondome und Infomaterial. „Etwas Neues erzählen wir den wenigsten“, sagt Schlimbach: „Sie sind oft übersättigt von Aidskampagnen, deshalb müssen wir für jede Szene neue Formen finden.“

Die Zukunft dieser Zielgruppen orientierten Arbeit ist unsicher. Bezahlt werden die Projekte vom Land. Die Förderung wird jedes Jahr neu beantragt. Eine Zusage von der neuen Landesregierung hat der Verband der 42 Aidshilfen bis jetzt nicht. „Alle Projekte stehen auf dem Prüfstand“, sagt Kai von Schoenebeck, Sprecher im Gesundheitsministerium: „Im wesentlichen wollen wir die Aids-Hilfe weiter unterstützen.“