Erneuter Sieg für den Kreml in Tschetschenien

Putin-Partei gewinnt Parlamentswahl mit deutlicher Mehrheit. Beobachter kritisieren zahlreiche Unregelmäßigkeiten

MOSKAU taz ■ Bei den Parlamentswahlen in Tschetschenien hat die Partei des Kremls „Vereintes Russland“ mit 61 Prozent einen komfortablen Sieg errungen. Abgeschlagen folgten die Kommunisten der KPRF und die liberale Partei „Union der Rechtskraefte“ (UDR) mit 12 sowie 11 Prozent der Wählerstimmen. Da Moskaus Statthalter Vizepremier Ramsan Kadyrow, der starke Mann in Grosny, auf den Listen aller Parteien Vertraute platziert hatte, wird die neue Volksvertretung indes nicht vielmehr sein als ein Taschenparlament.

Tschetscheniens Präsident Alu Alchanow wertete den Urnengang als „Beweis für die Stabilität der Republik“. Mit der Parlamentswahl vollendete der Kreml einen dreistufigen „Normalisierungsplan“, der vor zwei Jahren mit der Annahme einer Verfassung und Präsidentschaftswahlen begonnen hatte. Nach Angaben der Wahlleitung in Grosny nahmen 67 Prozent der rund 600.000 Wahlberechtigten an der Wahl teil. Der Vorsitzende des Wahlkommission, Ismail Baichanow, zeigte sich zufrieden über den aktiven Bürgersinn der Tschetschenen. Noch mehr freute ihn, dass bis gestern „keine Beschwerden“ über Regelverstöße eingegangen waren.

Dies entspricht nicht den Tatsachen. Eine Delegation der Parlamentarischen Versammlung des Europarates bemängelte, dass sie in einigen Wahllokalen unerlaubte Werbung der Kremlpartei „Vereintes Russland“ vorgefunden hätte. Zudem fragte sie an, warum in einigen Bezirken die Beteiligungen um 50 Prozent differierten. In Atschkoi Martan gaben 35, in Urus-Martan 70 Prozent die Stimme ab.

Auch in Grosny äußerte der Mitarbeiter eines Wahllokals gegenüber dem Internetdienst „kawkaskij usel“ Zweifel an der offiziellen Zählung. Sein Lokal hatten bis Mittag erst zehn Prozent der Stimmberechtigten aufgesucht. Das widerspricht den Gewohnheiten der Tschetschenen, die wegen schlechter Verkehrsverbindungen und der Gefahren bei einbrechender Dunkelheit eher in der ersten Tageshälfte an die Urnen gehen. „Der Rest“, meinte der Mitarbeiter, „werde aufgefüllt.“ Offiziell erklärte Grosny die Wahl bereits gegen Mittag für gültig.

Auch der Berichterstatter für Tschetschenien im Europarat, Andreas Gross, hielt die offiziellen Wahlbeteiligungsangaben für überhöht. Im Vorfeld hatte Gross kritisiert, dass die Wahlen in einem „Klima der Angst“ stattfänden, weil die wirkliche Macht nicht bei den Institutionen liege.

Diese hält der vom Kreml inthronisierte Vizepremier Ramsan Kadyrow in den Händen. Moskaus staatlich gelenkte TV-Anstalten huldigten dem „Helden Russlands“ am Wahltag mit langatmigen Unterwürfigkeitsadressen. Das Bild täuscht: Kadyrow ist auf Dauer kein verlässlicher Gewährsmann Moskaus. Er treibt ein eigenes Spiel. Zur Seite steht ihm eine Söldnertruppe, die Schrecken und Terror verbreitet. Geiselnahmen und Morde gehen auf ihre Rechnung. Noch lässt der Kreml den Erwählten gewähren, weil Russland sonst mit dem Ausbruch eines neuen Krieges rechnen müsste. KLAUS-HELGE DONATH