Täglich grüßt die Wirtschaftskröte

„Mögen Sie bei den traditionellen Spielen fröhlich sein!“ Von heute an wird in der deutschen Hauptstadt die vietnamesische Kultur gefeiert. Wie so etwas umgekehrt aussieht, ließ sich neulich prima in Ho-Chi-Minh-Stadt beobachten. Etwas Camouflage der Wirtschaftsinteressen wäre nicht schlecht gewesen

Dann mischte ein deutscher Berater das Seminar mit der Idee auf, ein Musical über Surfer im Mekongdelta zu schreiben

VON CHRISTIANE KÜHL

Die Temperatur im Konferenzraum des Legend Hotels beträgt gefühlte sieben Grad Celsius, im Gegenzug sind rund um die Lobby die Klobrillen beheizt. Erstaunliche Fakten angesichts der sengenden Sonne, die die Stadt bereits am Morgen auf tropische 30 Grad erhitzt. Draußen, hinter den getönten Scheiben, schiebt sich der Saigon River grau und breit in Richtung Südchinesisches Meer; an der befahrenen Uferstraße verkaufen ältere Frauen frische Kokosnüsse mit Strohhalm.

Neulich fand in Ho-Chi-Minh-Stadt das erste „vietnamesisch-deutsche Tourismus- und Kulturfestival“ statt. Rote Fahnen mit einer blond-runden Dirndlträgerin, Hand in Hand mit einer schmalen Frau unterm Spitzhut schmückten die Straßen; von höchster Stelle aus wurden 30 Jahre diplomatischer Beziehungen gefeiert. Dass die DDR, die bereits 1956 das erste Handelsabkommen mit der Republik Vietnam schloss, aus dieser Zeitrechnung fällt, ist dabei so bezeichnend wie die Eröffnung der Feierlichkeiten mit einem Business-Seminar: Die Hoffnung auf kapitale Investitionen ist Kernpunkt der neu entfachten Völkerfreundschaft.

Dabei muss Vietnam mit einem aktuellen Wirtschaftswachstum von 11,5 Prozent längst nicht mehr betteln. Seit die Partei Anfang der Neunzigerjahre den Übergang von der Plan- zur „Marktwirtschaft sozialistischer Prägung“ eingeleitet hat, hat sich die Zahl der Privatunternehmen im Land verdreifacht und das einstige Armenhaus zum zweitgrößten Reisexporteur der Welt gemausert. Das Kapital weiß diese Leistung zu schätzen: 4,1 Milliarden Dollar Direktinvestitionen flossen im letzten Jahr aus dem Ausland nach Vietnam. Nur die Deutschen, die doch durch die vietnamesischen Vertragsarbeiter in der DDR und Boatpeople in Westdeutschland viele direkte Kontakte in das Land haben, halten sich mit Investitionen zurück. Genau das wollen die Vietnamesen ändern. Und wenn die Zahlen nicht reichen, dann eben mit Kultur.

Am Abend wird die Fotoausstellung „Freundschaftliche Zusammenarbeit“ eröffnet, auf der sämtliche Plakate der deutschen Städtewerbung zu betrachten sind. Immerhin mit kreativen Bildunterschriften: „in costumes strangely“ wird dem Vietnamesen etwa der Kölner Karneval nahe gebracht. Eine Militärkapelle spielt, Reden werden gehalten, und schon geht es weiter zur Oper. Das Symphonieorchester spielt Bach, Händel, Haydn, Huy Do und Dám Linh. „Mögen Sie bei den traditionellen Spielen fröhlich sein!“, hatte der Vorsitzende des Volkskomitees der Stadt dem Publikum zu Beginn des Abends zugerufen. Danach war der deutsche Generalkonsul auf die Bühne des Kolonialgebäudes geklettert und hatte vor dem zerschlissenen Samtvorhang eine kurze Begrüßung gesprochen. Kaum länger dauerte sein Gesamtaufenthalt im Saal; noch vor Beginn des Konzerts geht er, gefolgt von Leipzigs eigens eingeflogenem Beigeordnetem für Wirtschaft und Arbeit und kurz darauf der gesamten deutschen Entourage. So viel zu deutschem Taktgefühl. Das Orchester verabschiedet sich mit dem Medley „Kein schöner Land“, das mit „Lustig ist das Zigeunerleben“ beginnt.

Dem Generalkonsul mangelndes Kulturinteresse vorzuwerfen wäre vorschnell, schließlich hatte er das Business-Seminar am Morgen auch nach den Grußworten verlassen – die Geschäfte rufen. Stattdessen sprachen für die Deutschen der Geschäftsführer von CBP, einer Münchner Consulting-Engineers-Firma, die gerne an der Planung der 140.000-Einwohner-Stadt beteiligt würde, die auf der Ostseite des Saigon Rivers aus dem Boden gestampft werden soll. Ein Herr von der Metro betonte, dass sein Konzern ganz auf die motivierte Arbeiterschaft des Landes setze, und der General Director von Mercedes-Benz Vietnam brachte deren Vorteile lächelnd auf den Punkt: „Hier hat noch nie einer nach einer Gehaltserhöhung gefragt.“ 40 US-Dollar verdient der Durchschnittsvietnamese im Monat, in gehobener Stellung bei einem ausländischen Unternehmen kann er das Zehnfache einstreichen. Die Agenda 2010 der Sozialistischen Republik sieht vor, dass am Ende der Dekade das Durchschnittseinkommen bei 1.000 Dollar liegt.

Bis dahin ist viel zu tun, weiß auch der stellvertretende Vorsitzende des Volkskomitees von Ho-Chi-Minh-Stadt, der, wohl aus Rücksicht auf die Gäste, im Programm als „Vize-Bürgermeister“ vorgestellt wird. Die Wirtschaftsleistung muss gesteigert werden, sagt er, was der Simultandolmetscher mit „die Wirtschaftskröte muss größer werden“ übersetzt. Das mag den eisigen Temperaturen im Raum geschuldet sein, aber im Grunde hat er den Nagel auf den Kopf getroffen.

Die Wirtschaftskröte grüßt naturgemäß auch am nächsten Tag. Im Equatorialhotel, einem weiteren nagelneuen 5-Sterne-Haus, wird das Seminar „Developing Vietnam-Germany Tourism“ mit einer Ansprache eines Vorsitzenden des Volkskomitees eröffnet, dann folgt eine Begrüßung durch den deutschen Generalkonsul, der im Anschluss den Saal verlässt. Ein Herr von TUI China rät, „Vietnam ein Gesicht zu geben“, damit das „Produkt unverwechselbar“ sei. Später mischt ein Berater aus Berlin das Seminar mit dem Vorschlag auf, einen Musicalhit über Surfer im Mekongdelta zu schreiben, um das Land in den Fokus der Weltöffentlichkeit zu rücken. Und weshalb, ruft er emphatisch in den Saal, gab es noch keine vietnamesische Ausstellung im New Yorker MoMA? Die Delegierten schweigen stumm, obwohl sich die Frage angeboten hätte, weshalb Deutschland nie den Eurovision Song Contest gewinnt.

Vielleicht schweigen die vietnamesischen Delegierten aber auch, weil sie wissen, dass sie ihren größten Trumpf noch in der Tasche haben: das Oktoberfest, das am Abend starten wird. Und wirklich, man muss nicht in München gewesen sein, um zu wissen, dass es schöner als unter Palmen auf der Regenzeit-durchweichten Wiese am Saigon River nicht geht. Auf fünf Bühnen wird aufgespielt; es gibt Frauenwetttrinken, Travestie und Schwanensee. Eröffnet wurde von einem Vertreter des Volkskomitees, dann hat der Generalkonsul das erste Fass angestochen. Und ist den ganzen Abend geblieben.

Bis zum 1. Dezember findet in Berlin der „Vietnam Day“ statt, organisiert vom vietnamesischen Handelsministerium. Ein kleines begleitendes Kulturprogramm ist auch geplant