berliner szenen Erderwärmungsoffensive

Überall Heizpilze

Zuerst sind sie mir an der Oranienstraße aufgefallen. Weiß und blechern und übermannsgroß spuckten sie des Abends blaues Feuer. Den ganzen Sommer waren die Bürgersteige zu schmalen Streifen verengt, da der Rest von den Restaurantgästen in Beschlag genommen wurde. Über ihren Köpfen verströmten Heizpilze künstliche Wärme. Dann wurde es allmählich Herbst, und Tische, Stühle und Heizpilze standen noch immer dort. Das Wetter wurde feuchtkalt, ich kramte Mütze und Handschuhe hervor, und unter weißen Metallhüten strömte weiterhin blaues Feuer hervor. Und die Pilze schienen sich auszubreiten: Inzwischen hatte die Pilzkultur der Oranienstraße Ableger bis hin zum Schlesischen Tor entwickelt. Auch in Friedrichshain, Mitte und erst recht in Prenzlauer Berg sind sie aufgetaucht, Gastwirte haben sie zusammen mit ihren Gästen unter Frischhaltefolie eingesperrt. Diese Biergärten strahlen nun ungefähr den Charme der Vorzelte von Dauercampern aus.

Ist Berlin nach dem Irrtum, an einem endlosen tropischen Sandstrand zu liegen, nun der Idee verfallen, dass der Sommer niemals enden würde und die Menschen sich nach nichts anderem sehnten, als jahrein, jahraus laue Abende in Biergärten zu verbringen? Als wenn man den Berlinern das Recht auf ihren wohlverdienten Winterschlaf bei heißem Tee und einem guten Buch endgültig absprechen wollte. Und was ist eigentlich aus den Kreuzberger Ökos geworden? Stört es sie gar nicht mehr, dass vor ihrer Haustür offensiv globale Erwärmung betrieben wird? Wenn ich die Oranienstraße entlanggehe, fantasiere ich manchmal von einer Heizpilzbefreiungsbewegung, die über die Einhaltung der Kreuzberger Klimaziele wacht. JUTTA BLUME