Streik leidet unter hohen Forderungen

Der Ärzte-Streik an der Charité erregt die Gemüter. Überraschend viele Berliner haben Verständnis für den Medizinerprotest, sie kritisieren die überlangen Arbeitszeiten. Aber die Gehaltsforderungen der Ärzte stoßen auf Unverständnis. Eine Umfrage

Seit Montag streiken die meisten der rund 2.200 ÄrztInnen an der Charité. Damit wollen sie bis zu 30 Prozent mehr Lohn durchsetzen, unbezahlte Überstunden sollen abgeschafft werden. Viele Berliner haben Verständnis für die Ärzte, aber es gibt auch kritische Stimmen. Die taz fragte Betroffene und Experten.

Heike Spieß, Gesundheitsexpertin der Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di: „Nach der Tarifflucht der Charité ist die Forderung nach höheren Löhnen und einem Tarifvertrag für alle Berufsgruppen berechtigt, natürlich auch für Ärzte und Ärztinnen. Die Forderungen der Ärzteschaft sind aber utopisch und unsolidarisch, weil ihre Erfüllung letztlich zu Lasten der anderen Berufsgruppen, zum Beispiel im medizinisch-technischen, pflegerischen und Verwaltungsbereich, gehen würde. Das Problem der überlangen Arbeitszeiten und unbezahlter könnten die Ärzte auch angehen, indem sie die Überstunden gegenüber dem Arbeitgeber geltend machen. Auch Krankenschwestern und -pfleger schieben tausende Überstunden vor sich her. Sie sind übrigens auch von befristeten Arbeitsverträgen betroffen. Derzeit stellt die Charité in allen Bereichen nur noch auf Zeit ein.“

Ein Krankentransportwagenfahrer: „Das ist schon ganz richtig, was die Ärzte machen. Die hätten schon viel früher streiken sollen. Aber in Deutschland ist sich ja jeder selbst der Nächste. Die Politik und der Charité-Vorstand sparen, während sie sich selbst die Taschen füllen. Auch bei meiner Firma, die für die Charité den Krankentransport erledigt, versuchen sie, auf Kosten der Angestellten zu sparen. Aber bei uns haben alle viel Angst, ihren Job zu verlieren. Darum tut sich nichts.“

Barbara Barth, ehemalige Hebamme im Martin-Luther-Krankenhaus: „Ich finde den Streik gut, weil er auf die Situation der Mediziner aufmerksam macht. Ein Ärztestreik hat im Vergleich zu einem Metallarbeiterstreik so einen komischen Beigeschmack, weil es ja immer heißt, Ärzte sollen den Menschen dienen. 30 Prozent mehr Lohn finde ich übertrieben. Ich weiß nicht, wo die herkommen sollen. Aber auch ein Arzt kann nur ein begrenztes Arbeitspensum erfüllen. Jeder Kraftfahrer muss Pausen einhalten und Ruhezeiten, Bereitschaftsdienst muss als vollwertige Arbeitszeit gelten.“

Eine Charité-Patientin: „Ich bin gut von den Ärzten über den Streik informiert worden. Die Versorgung ist nicht merklich schlechter geworden. Die Schwestern sind sehr bemüht. Prinzipiell finde ich es richtig, für bessere Arbeitsbedingungen im Krankenhaus zu kämpfen. Von übermüdeten Ärzten hat ja keiner was. Ob die aber wirklich mehr verdienen müssen, halte ich als ehemalige Erzieherin für fraglich. Wenn ganz Berlin spart, sollen es auch die Ärzte tun.“

Ein Krankenkassen-Funktionär: „Mit den Streiks kann man die Probleme an den Krankenhäusern nicht lösen. Der Tarifkonflikt darf nicht auf dem Rücken der Patienten ausgetragen werden.“

Ein Arzt im Vivantes-Klinikum Neukölln: „Ich sympathisiere total mit dem Streik. Wenn ich so wie in der Charité ohne Tarifvertrag wäre und 15 Prozent Gehaltskürzungen anstünden, würde ich das ganz genauso machen. Die Ärzteschaft in der Charité macht im Monat 85.000 unbezahlte Überstunden. Das sind Millionenbeträge, die das Haus damit einspart. Wir am Vivantes-Klinikum machen auch Überstunden, aber nicht so viele. Die 30 Prozent mehr Lohn, die die Streikenden fordern, sind der Betrag, der die Überstunden abdeckt. Der Berufsethos des Arztes, der im Berufsbild verankert ist, sagt immer, man müsse alles mitmachen. Krankenschwestern hören schon Kilometer vorher auf.“

Gabriele Rähse, Sprecherin der AOK Berlin: „In Tarifauseinandersetzungen mischen wir uns grundsätzlich nicht ein. Aufgabe des Klinik-Managements ist es, schnell eine optimale Lösung zu finden. Oberste Prämisse muss dabei sein, dass die Versorgung der Patienten keinen Schaden nimmt.“

Eine Putzfrau an der Charité: „Gehaltskürzungen oder Entlassungen, das ist doch irgendwie immer der leichteste Weg. Da muss es doch noch andere Möglichkeiten geben. Nicht nur für Ärzte.“

Anke Zbikowski, angehende Fachärztin am Regionskrankenhaus Jönköping, Schweden: „Es ist richtig, dass die Berliner Ärzte ein Zeichen setzen. Ich bin vor vier Jahren aus Deutschland nach Schweden gezogen, weil die Arbeitsbedingungen für mich untragbar und familienunfreundlich waren. Ich wollte aber eine Familie haben. In Schweden geht das gut, alle meine Kollegen haben Kinder. In dem kleinen Krankenaus, in dem ich zuvor war, haben wir nicht selten 30 Stunden am Stück gearbeitet. Das empfand ich als große Belastung. Ich habe damals ganz gut verdient, besser als hier in Schweden. Aber jetzt arbeite ich auch weniger.“

Karin Stötzner, Patientenbeauftragte für Berlin: „In den Patientenvertretungen gibt es Verständnis dafür, dass die Ärzte vernünftige Arbeitszeiten haben wollen. Kein Patient möchte von übermüdeten Medizinern behandelt werden. Dennoch ist das Verhältnis zum Streik ambivalent. Zwar existiert ein Grundvertrauen zu den Ärzten, dass sie die Notversorgung aufrecht erhalten, aber es gibt auch Sorgen. Wenn Fluglotsen streiken, bleiben eben Flugzeuge unten, aber wenn einmal Ärzte flächendeckend streiken sollten – was jetzt noch längst nicht der Fall ist –, kann schon ein mulmiges Gefühl aufkommen.“ BB, FM, ROT