Werft das Hanf weg

Wenn der Rebbe rappt: In der Musik von Matisyahu treffen Dancehall-Rhythmen und thorafeste Texte aufeinander. Heute Abend gibt der chassidische Reggae-Sänger sein erstes Konzert in Deutschland

Obwohl Matisyahu ein glühender Chabadnik ist, will er kein Missionar sein

VON FRANK WEIGAND

Reggae und HipHop sind inzwischen so sehr Teil der kommerzialisierten Musikszene, dass sich außer aufmerksamen Indexbehörden niemand mehr um die Inhalte schert. Hauptsache, der Sound ist gut und hat Flow. Wer mit dieser Einstellung aber eine Platte des New Yorker Sängers Matisyahu auflegt, den trifft es wie der Hammer Gottes in den Gehörgang. Da ist tatsächlich jemand, der etwas zu sagen hat!

Die Botschaft dürfte für die meisten Hörer jedoch eher befremdlich klingen: Matisyahu ist orthodoxer Jude, steht mit wallendem Bart, Schlapphut und Mantel auf der Bühne, geißelt in seinen Songs die Verlockungen unserer babylonischen Welt und empfiehlt Spiritualität und Einkehr als Schlüssel zum himmlischen Jerusalem. Besonders eingefleischte Reggae-Fans stolpern beim Hören über Verszeilen wie „Die Thora ist Nahrung für deinen Geist, wirf dein Marihuana weg.“

Das Phänomen des Chassiden, der zu pulsierenden Rhythmen in Beatbox-Manier die Macht des einen Gottes verherrlicht, ist weit mehr als ein Kuriosum. Vor kurzem kürte ein amerikanisches Magazin den Sänger zu einem der fünf intellektuell einflussreichsten Juden der USA. Matisyahu meint es ernst mit seiner Botschaft: „Ich mache in meinem Leben keinen Unterschied zwischen Musik und meinem Glauben. Das ist meine Arbeit, meine Mission, meine Berufung.“

Der Sänger, der selbst erst 26 Jahre alt ist, sieht sich als Sprachrohr einer Generation: „Den jungen Juden in Amerika gibt diese Musik etwas, auf das sie stolz sein können. Und für die Leute, die keine Juden sind, liegen darin Botschaften und Konzepte, mit denen sie etwas anfangen können.“ Längst erreicht Matisyahu mit seinen Songs nicht mehr nur ein jüdisches Publikum. Nach dem Erfolg seiner ersten Platte „Shake Off The Dust … Arise“ kaufte Sony BMG den chassidischen Rasta ein und produziert mit ihm gerade das Nachfolgealbum. Tourneen durch die USA, Kanada und nun auch Europa folgten.

Ursprünglich hatte der Sänger mit Religion allerdings wenig am Hut. Geboren als Matthew Miller, Sohn einer jüdischen Familie im Staat New York, war er zunächst ein rebellischer Teenager, der regelmäßig den Hebräischunterricht schwänzte, sich stattdessen lieber Dreadlocks wachsen ließ und Bongo spielend und kiffend im Gras saß. Erst als er einige Jahre später in einem New Yorker Park einem Rabbi der Chabad-Lubavitch-Bewegung begegnete, beschloss er, sein Leben grundlegend zu ändern. „Vieles, was mir so echt, so wichtig und so schön erschien, war in Wirklichkeit falsch“, sagt er heute dazu. „Wenn ich jetzt hinaus in die Welt gehe, dann verstärkt das meine Überzeugung, dass die Dinge, die ich in meinem Leben gefunden habe, echt und wahr sind.“

Er schnitt sich die Dreadlocks ab, ließ sich den Bart wachsen und besuchte fortan regelmäßig die Thora- und Talmud-Stunden im Brooklyner Hauptquartier der Chabadniks. Nebenher widmete er sich weiter seiner zweiten Leidenschaft, der Musik, und entwickelte einen Crossover-Stil aus Dancehall-Reggae und Rap mit religiösen Texten: „Traditioneller Reggae hat seine Wurzeln im Alten Testament und ist stark mit Spiritualität und einem Leben jenseits des Mainstreams verbunden. Das Judentum und die Religion der Rastafaris haben denselben Kern. Sie versuchen beide, die spirituelle Seite des physischen Lebens zu enthüllen.“ Im Grunde geht es in Matisyahus Songs immer um seine eigene Geschichte: Stets verliert dort ein junger Protagonist im Chaos der Stadt sein Ziel aus den Augen und wandert durch eine sinnentleerte „Wüste“, bis er im Glauben an Gott das Sinn und Leben spendende „Wasser“ findet.

Dem Rabbi seiner Gemeinde entgingen die musikalischen Aktivitäten seines Schützlings nicht, er unterstützte sie sogar. Schließlich hatte in den Siebzigerjahren ein anderer Musiker, der Folksänger Shlomo Carlebach, die religiösen Botschaften der Chabadniks zu großer Popularität geführt. Auf Initiative des Rabbis trat Matthew 2001 zum ersten Mal live auf, vor 600 verblüfften Zuschauern im Union Square Park. Unterstützt wurde er dabei von Aaron Duga an der Gitarre, Jonah David an den Drums und Josh Werner am Bass, die ihn noch heute auf der Bühne begleiten.

Damals änderte er seinen Namen in Matisyahu, die ursprüngliche hebräische Form von Matthew, um an den legendären Führer der Makkabäer zu erinnern, der im zweiten Jahrhundert vor Christus den Jerusalemer Tempelberg von den syrischen Seleukiden zurückeroberte. Die Rückeroberung religiöser Symbole ist einer der Kernaspekte der Chabad-Lehre. Im Geiste ihres letzten Oberhaupts, des 1994 verstorbenen Menachem Mendel Schneerson, betreibt die Bewegung intensive religiöse Arbeit weltweit und versucht, praktizierende Juden in ihrem Glauben zu stärken und nicht praktizierende Juden zurück ins religiöse Leben zu bringen. Obwohl Matisyahu ein glühender Chabadnik ist, will er kein Missionar sein: „Ich mache einfach Musik, und Musik ist immer ein Ausdruck von Menschen und von den Dingen, die sie in ihrem Leben tun. Ich habe bestimmte Ideen und habe bestimmte Zusammenhänge zwischen den Dingen erkannt. Und ich versuche, das weiterzugeben. Aber ich versuche nicht, irgendjemand zum Judentum zu bekehren.“

Bemerkenswert ist der Unterschied zwischen der Bühnenfigur und dem Privatmann Matisyahu. Während er auf der Bühne jede Zurückhaltung verliert und sich immer wieder „Yo! Yo! Yo!“ schreiend in die Menge wirft, wirkt er im Gespräch reserviert und fast ein wenig langweilig. Zwar bemüht er sich redlich, die Hintergründe seiner „Mission“ zu erläutern, doch kommt dabei wenig von der Energie rüber, die er in Aktion ausstrahlt. Viele seiner Antworten klingen vorgefertigt und schablonenhaft. Matisyahu spricht in schwammigen Begriffen wie „Spiritualität“ und „Negativität“ und bringt auch auf die Frage, was es denn für ein Gefühl sei, als Jude zum ersten Mal in Deutschland zu spielen, nicht viel mehr als ein höfliches „Das wird bestimmt eine intensive Erfahrung“ heraus. Doch schließlich formuliert er selbst eine der Charakteristika des chassidischen Judentums: „Wenn man im Gebet mit Worten nicht weiterkommt, soll man eine Melodie singen.“ Vielleicht wird der eine oder andere Konzertbesucher ja tatsächlich mit verklärtem Blick und dem Vers „Jerusalem, you make me high“ auf den Lippen nach Hause stolpern.

Das Konzert von Matisyahu findet heute, 21 Uhr, in der Kalkscheune, Johannisstraße 2, statt