Liebesgrüße aus Bombay

Tausende Bürger pakistanischer, indischer oder afghanischer Abstammung in norddeutschen Großstädten wollen die Mega-Produktionen der indischen Filmindustrie im Kino sehen. Das hat der Filmhändler Ashraf Hanief erkannt und organisiert wilde Sondervorstellungen für die Bollywood-Gemeinde

Das Bollywood-Publikum geht mit: Kleinkinder schreien und die Großeltern spenden Beifall, wenn der Bösewicht verhauen wird

von Jens Fischer

Zwischen Okra-Schoten, getrocknetem Fisch und Curry in schillernden Rotschattierungen hängen Werbeposter lustig schöner Wesen vom Planet Bollywood. Einmal im Monat dürfen sie die Leinwände norddeutscher Metropolen betrubeln. „Ein Festtag“, findet der Bremer Gemüsehändler und Filmplakatekleber Imran Ahmad. „Das ist wie früher in Pakistan, als mein Vater zu seltenen Anlässen einen Videorekorder mit Bollywoodkassetten ausgeliehen hatte.“

Auch für den Filmhändler Ashraf Hanief waren es „die schönsten Wochenenden des Jahres, wenn der Familienausflug in Kabuls Bollywood-Kino führte“. Heute schreibt Hanief nun „Sondervorführung“ an eine Cinemaxx-Kasse und verkauft Tickets für einen besonderen Film in besonderer Atmosphäre: Hanief organisiert Vorführungen von Bollywood-Filmen in deutschen Kinos.

Wer im Kino immer schon genervt ist, wenn das Popcorngemampfe beginnt, Cola lauthals aus XXXL-Bechern gegluckert wird und das Dauergeplapper nicht enden will, der wird diese Unsitten in Haniefs „Sondervorführung“ gar nicht mehr bemerken. Zu viel ist los. Action-Thriller trifft Heimatschnulze trifft Klamotte trifft Melodram trifft Videoclip. Und der Geräuschpegel nimmt, wie in indischen 1.000-Plätze-Lichtspielpalästen, enorme Ausmaße an. Kleinkinder schreien, werden beschnullert, die größeren Geschwister toben über die Treppen. Großeltern spenden Beifall, wenn der Bösewicht verhauen wird. Das frisch vermählte Paar schluchzt mit dem unglücklich verliebten Helden. Es wird krawallig laut gelacht, gejubelt, gepfiffen.

Auch wenn die Fans in Deutschland ihren Bollywood-Stars noch keine Blumen und Räucherstäbchen am Fuß der Leinwand opfern wie in Indien, wird der Abend generationsübergreifend als Happening gefeiert – im schönen Sari, im schicken Anzug. „Die Nachfrage steigt“, freut sich Hanief. Immer mehr Deutsche und Türken seien vom Bollywoodvirus infiziert.

Mehrere Kulturen in einem Kino, das berge aber auch Probleme. Imran Ahmad: „Die Deutschen beschweren sich über den Lärm; indische und afghanische Jungs provozieren sich gern gegenseitig, so dass Vorführungen in Hamburg des öfteren in Massenprügeleien endeten, daher arbeiten wir dort jetzt mit einem Security-Team.“

Zwischen Indern und Pakistanern gebe es aber keine Probleme. Lange wurde zwar in Bollywood gegen Pakistan agitiert, derzeit aber spiegelt sich auch in den Filmen die politische Annäherung der Staaten. Mimen beiderseits der Grenze spielen mit, kein Land wird verdammt, Hinduismus und Islam werden respektvoll gewürdigt.

In der indischen Metropole Bombay, darauf bezieht sich die Verballhornung Bollywood, entstehen jährlich etwa 250 Filme in der Nationalsprache Hindi – dazu noch mehr als 700 in den jeweiligen Regionaldialekten. Insgesamt wirft Indien dreimal mehr Ware auf den Markt als Hollywood. Zwölf Millionen Eintrittskarten werden pro Tag allein in dem Ein-Milliarden-Einwohner-Staat verkauft. Da das den Filmmoguln nicht genügte, begann man vor zehn Jahren auch für den Export zu produzieren, also Filme visuell attraktiver zu gestalten, die Hollywood-Genres zu bedienen, den globalen Musikgeschmack zu berücksichtigen und der weltweiten Moral entgegenzukommen. Waren Kussszenen einst nur in Pornos möglich, darf sich jetzt auch in Bollywood mal Lippe an Lippe schmiegen.

In den USA und in Großbritannien erzielen die Streifen auch über den indischen Anteil der Bevölkerung hinaus großen Zuspruch. In Asien, Afrika, Lateinamerika, Osteuropa sowie in der Türkei sind die fröhlichen Emotions-Epen nicht minder erfolgreich. Obwohl die Blockbuster-Produktionen in Indien nur vier bis sechs Millionen Dollar kosten, sehen sie kaum ärmer aus als 50 Mal teurere Hollywoodstreifen.

In Deutschland war Bollywood zuerst nur auf Festivals und im türkischen Fernsehen des Kabelnetzes zu sehen. Als die Filme auch die Programmkinos füllten, bescherte RTL2 den Durchbruch beim Massenpublikum. Die TV-Premiere der erfolgreichsten Bollywood-Produktion aller Zeiten, „Sometimes Happy, Sometimes Sad“, erreichte vor einem Jahr insgesamt zwei Millionen Zuschauer. Marktanteil bei den 14- bis 29-Jährigen: 15,1 Prozent. Über 70 Prozent des Publikums war weiblich. Arte adelte daraufhin Bollywood mit einem Themenabend.

„Indien boomt“, hat Ashraf Hanief erkannt. „Für Europäer ist das Land noch Inbegriff für Exotik und Mystik, im Ausland lebende Inder aber empfinden die Heimat als ein modernes Land.“ Es beherbergt die zweitgrößte moslemische Gemeinschaft der Welt und bringt wenig Terror hervor, sondern eine stabile Mittelklasse und eine immer vernehmlicher brummende Ökonomie. Wie zum Beispiel die Filmindustrie.

Die 50 Bollywood-Blockbuster pro Jahr gehen daheim mit 3.000 Kopien an den Start, 400 englisch untertitelte Kopien werden in die weite Welt geflogen. Eine davon bekommt Hanief. Wenn er pfiffiger ist als seine Konkurrenten. So reiste er bereits einmal nach Bombay. „Mit einer ins Gesicht gezogenen Mütze sah ich aus wie ein Bollywood-Star, so dass ich direkt auf den Set marschieren und mir schon während der Dreharbeiten die Rechte sichern konnte.“

Der 30-jährige Afghane lebt seit 1981 in Deutschland, hat sich in den Münchner Museumslichtspielen vom Kartenabreißer zum Vorführer und Organisator indischer Filmreihen emporgearbeitet. Jetzt geht er als Ein-Mann-Unternehmen alle vier Wochen mit einem Bollywood-Streifen auf Deutschlandtournee, zuvor reist er durch die Städte, klebt 10.000 Plakate pro Film oder kontrolliert seine Plakatierer. Dann muss es schnell gehen. Mittwochs ist Bollywood-Premierentag in Bombay und London, tags darauf zeigt Hanief den Streifen bereits in Deutschland. Gleichzeitig, so berichtet er, würden die DVD-Raubkopien vor allem in Dubai und Hongkong gebrannt, freitags verschickt, so dass sie samstags weltweit für maximal drei Euro zu erwerben seien – zwischen Okra-Schoten, getrocknetem Fisch und Curry in schillernden Rotschattierungen.

„Ab Montag sind deutlich weniger Menschen bereit, 9.50 Euro Eintritt bei mir zu zahlen“, sagt Hanief. Zuletzt hatte er in Hamburg 800 Besucher (Cinemaxx), in Bremen (Cinemaxx) und Hannover (Utopia) nur 90. „Das ist typisch“, sagt Hanief. In Hamburg lebten schließlich 20.000, in Hannover 5.000, in Bremen vielleicht 2.500 Menschen pakistanischer, indischer oder afghanischer Abstammung. Hanief kalkuliert hart. „Wenn ich für 8.000 Euro die deutschen Kinorechte für zehn Tage kriege und täglich noch ein Kino für 400 Euro miete, muss ich pro Vorführung 1.200 Euro einnehmen und habe noch nicht mal die Benzinkosten raus.“

Seit zwei Jahren arbeitet Hanief so – mit Erfolg. Die Zahl der Städte, in denen er die Filme zeigt, wird länger. Er fährt auch nicht mehr mit einem Golf, sondern mit einem Mercedes vor. Demnächst will Hanief eine Art Bollywood-Kirch werden, auch die deutschen TV-Rechte für indische Filme erwerben und sie dann an Pro-7 weiterverkaufen.

Aber auch die diversen Gründe der Kinobegeisterung weiterfördern. Asiaten lieben Bollywood für seine idealisierte Kultur: Träume eines unreglementierten Lebens, aus dem die langweiligen Momente herausgeschnitten wurden. Fast immer spielen die Hindi-Musicals unter Reichen und kommen in einer edel designten Optik daher.

Global geschätzt wird die Bollywood-Grundregel „Mehr ist mehr“, was auch zu gewaltigen Explosionen in Mimik und Gestik führt. Es herrscht die Ästhetik der Überwältigung. Alles wird mobilisiert, um dem Zuschauer die eigene Fantasie, das eigene Denken abzunehmen.

Internationales Potenzial haben die indischen Filme aufgrund ihrer kulturellen Kompatibilität. Der üppige Spaß an abstrusen Geschichten, die ihr plumpes Schema ungeniert nach außen stülpen, kommt dem westlichen Comedy-Zynismus entgegen. Außerdem ist man sich weltweit mit Bollywood einig: Irrungen und Wirrungen sind unterhaltsam, aber am Schluss muss ein glückliches Paar zu sehen sein.

Kitschig könnte man das nennen oder mutig und unverdorben. „Endlich mal Filme ohne Metaebene oder doppelte Lesart, purer Spaß“, heißt es unter deutschen Zuschauern. „Und man kann auch mal wieder hemmungslos weinen.“

Heute wieder in Langenhagen (Utopia), morgen in Bremen (Cinemaxx) mit “Deewane huye paagal“ – jeweils um 20 Uhr