„Jeder im Irak lebt in totaler Unsicherheit“

Die Journalistin Giuliana Sgrena war Geisel im Irak. Ihre Entführer sagten: „Im Krieg benutzen wir auch dich“

taz: Frau Sgrena, Sie wurden im Februar in Bagdad entführt und waren einen Monat lang in Geiselhaft. Kann man sich im Irak überhaupt vor Entführungen schützen?

Giuliana Sgrena: Nein, für einen Journalisten zum Beispiel ist es schier unmöglich, im Irak zu arbeiten, wenn diese Arbeit darin besteht, mit der Bevölkerung zu sprechen, und nicht darin, sich im Hotel zu verschanzen. Und auch die jetzt entführte Archäologin war diesem Risiko ausgesetzt. Meine Entführer sagten mir, dass sie keinen Unterschied machen zwischen Militärs, Journalisten oder humanitär Tätigen. Alle Ausländer sind für sie gleich – die wollen sie nicht im Irak haben. Und da sie den Irak fast vollständig kontrollieren, ist es höchst riskant, sich dort aufzuhalten.

Auch Distanz zu den USA kann also potenzielle Opfer nicht schützen?

Das zeigt sich immer wieder. Frankreich stand nicht an der Seite der USA – trotzdem wurde Florence Aubenas entführt, so wie jetzt die deutsche Archäologin. Und Italien hat sich zwar an die Seite von Bush gestellt – ich aber habe immer gegen den Krieg geschrieben. Unterschiedslos alle Ausländer sind Ziele. Ich habe ja meine Entführer gefragt, wieso sie mich ausgewählt hätten, ich sei doch die verkehrte Person. Sie antworteten: „Wenn du den Fuß in den Irak setzt, bist du im Krieg drin. Im Krieg greift man zu allen Mitteln, wir benutzen auch dich.“ Ich wusste zwar, dass ich entführt werden könnte; nicht umsonst hatte ich immer alles Wichtige in meiner Handtasche dabei. Dennoch war es für mich hart, zu akzeptieren, dass sie gerade mich ausgesucht hatten.

Leben Ausländer in Bagdad also gefährlicher als Iraker?

Nein, die Entführungen treffen ja zu einem Großteil Iraker. Da geht es bisweilen um Geld, oft aber um politische Erpressung. So soll zum Beispiel ein Universitätsprofessor gezwungen werden, auf seine Lehrtätigkeit zu verzichten. Jeder im Irak lebt in totaler Unsicherheit.

Bei Ihrer Befreiung gerieten Sie unter Feuer der US-Armee, der italienische Geheimdienstmann Nicola Calipari wurde erschossen.

Ich habe mein Buch nicht umsonst „Friendly Fire“ genannt: Einerseits stand ich am Ende unter dem Feuer der Alliierten, die auf Geheimdienstmänner eines befreundeten Staates schossen. Und davor war ich von Personen entführt worden, die erklärten, sie kämpften für die Freiheit des Irak, aber zugleich eine Journalistin als Geisel nahmen, die Partei gegen den Irakkrieg ergriffen hatte.

Was kann Deutschland jetzt für die Geisel tun?

Zu meiner Freilassung haben sowohl die Mobilisierung der Italiener als auch die von der Regierung aufgenommenen Geheimverhandlungen beigetragen. Beides war wichtig.

INTERVIEW: MICHAEL BRAUN