Leicht und mobil

Verbundstoffe aus Naturfasern werden in Autos schon seit geraumer Zeit verwendet. Bioverbundstoffe, die erdölbasierte Kunststoffe komplett ersetzen können, sind noch Zukunftsmusik

VON DIERK JENSEN

Leicht ist gut. Das gilt auch für Autos: Je weniger das Vierrad wiegt, desto weniger Energie verbraucht es. Die Hälfte des Spritverbrauchs wird vom Gewicht bestimmt. Das merkt in Zeiten steigender Energiepreise vor allem der Autofahrer, der mit einem leichteren Untersatz seltener an die Zapfsäule vorfahren muss – und so sein Portmonee schont. Und da sparsamer Verbrauch ein wichtiges Argument beim Autokauf ist, sind die Konstrukteure aller großen Automobilkonzerne fieberhaft auf der Suche nach neuen Materialien, die das Auto „erleichtern“.

Dabei spielen naturfaserverstärkte Kunststoffe – also eine stoffliche Kombination aus Naturfasern wie Kokos, Flachs, Hanf und Jute und einem Polymer – eine große Rolle. „Das ist inzwischen üblich, Stand der Technik“, konstatiert Experte Ulrich Riedel vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR). In der Tat greifen Autohersteller inzwischen wieder zur Natur, um ihre Hightech-Vehikel für die Nachhaltigkeit fit zu machen.

Allerdings liegt noch viel Entwicklungspotenzial brach. „Richtig konsequent wäre es, wenn zur Naturfaser auch ein nonfossiles Polymer zum Einsatz käme“, erklärt Riedel, „dann hätten wir einen Bioverbundstoff, der gänzlich aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt wäre.“ Als Basis für Biopolymere könnten dabei Pflanzenöle oder auch Cellulose aus Holz dienen, so Riedel weiter. Jedoch müssen zunächst grundsätzliche Fragen zur Begriffsklärung, zu den Prüfkriterien und den Marktpotenzialen geklärt werden.

Fragen, die unter der Leitung von Riedel im Arbeitskreis „naturfaserverstärkte Polymere“ bei der Arbeitsgemeinschaft Verstärkte Kunststoffe – Technische Vereinigung (AVK TV) aufgegriffen werden. Dabei beurteilen die Experten die EU-Altautoverordnung äußerst kritisch. Entgegen der gesetzlichen Vorgabe, dass ab 2006 exakt 85 Prozent eines Autos stofflich recycelt werden sollen, plädiert Riedel dafür, die energetische Verwertung nicht per se zu verteufeln. „Alle Welt spricht von Energie aus Biomasse, was spricht also dagegen, Biomasse zuerst in Autoverkleidungen zu pressen und sie danach energetisch zu nutzen?“, kritisiert Riedel. Ohnehin scheint das letzte Wort zu dieser gesetzlichen Regelung noch nicht gefallen zu sein, denn mit einem groß angelegten Gutachten wollen Automobilhersteller und Zulieferer die zuständige EU-Kommission in Detailfragen umstimmen. Um letztlich auch in Zukunft den Einsatz von Leichtmaterialien, darunter auch Naturfasern, nicht zu gefährden.

„Wir können doch nicht alles kompostieren“, klagt auch Renate Lützkendorf vom Thüringischen Institut für Textil- und Kunststoffforschung (TITK) über die Verordnung. „Die Landwirtschaft wird und kann so viel Kompost gar nicht abnehmen.“ Ungeachtet dieser auf stoffliche Kreisläufe fixierte Recycling-Verordnung arbeitet Lützkendorf als Leiterin der Textil- und Werkstoff-Forschungsabteilung am TITK an neuartigen Verfahrenstechniken, die den Einsatz von Naturfasern nicht nur im Thermopressverfahren erlauben, sondern auch im Bereich der Spritzgusstechnik ermöglichen. „Wir haben eine Produktionsmethode entwickelt, bei der man Naturfaser und Kunststoff zu einem für die Spritztechnik unabkömmlichem Granulat in einer Schnittlänge von zehn bis 30 Millimetern verarbeitet.“

Mehrere Autozulieferer und Autohersteller testen dieses Verfahren, Lützkendorf rechnet schon bald mit einem Einsatz in einer Serienproduktion. Die Chancen stehen nicht schlecht, erhielten doch die Thüringer neben zwei anderen Mitbewerbern, darunter das niederländische Institut ATO, auf der Konferenz „Naturfaser-Spritzguss für Verbundwerkstoffe in der Automobilindustrie“ vom am Test beteiligten Unternehmen gute Noten. Wenngleich die Werte hinsichtlich ihrer Biegefestigkeit, „Schlagzähigkeit“ und Zugdehnung nicht ganz das Niveau von glasfaserverstärktem Polypropylen erreichen, attestierten die Fachleute diesen Werkstoffen trotzdem eine industrielle Reife.

Obschon der Einsatz von naturfaserverstärkten Kunststoffen oft sehr autozentriert gedacht wird und tatsächlich bisher rund 90 Prozent aller derartigen Werkstoffe in die Automobilindustrie wandern, ist der Einsatz gerade durch die Spritztechniken auch in anderen Industrien denkbar: In jedes noch so muffige Büro könnte somit ein Stückchen Natur zurückkehren. „Gegossene Bioverbundstoffe“ würden herkömmliche Tastaturen sowie Gehäuse von Computern oder Kopierern ersetzen.

Interessant ist auch ein Einsatz in der Windkraftindustrie, in der beim Bau der riesigen Flügel bisher ausschließlich Polyesterharze und Glasfasermatten eingesetzt wurden. Ein „stinkendes“ Geschäft, das viele Windkraftanlagenhersteller gerne durch nachhaltigere Werkstoffe ersetzt wissen möchten. Zumal die Symbiose von erneuerbarer Energie und nonfossilen Werkstoffen nirgendwo bildlicher, symbolträchtiger als durch drehende Flügel von Windkraftanlagen dargestellt werden würde.

Während die Windkraftindustrie noch in den Startlöchern verharrt, ist der Schienenverkehr einen Zug weiter. Besser gesagt mehrere Züge weiter, hat doch die Hamburger Hochbahn fünf Triebwagen der Baureihe DT 4.5 mit Innenverkleidungen (unter anderem Sitzrückwände) aus naturfaserverstärkten Bioverbundstoffen in Betrieb. So sitzt der U-Bahn-Fahrer – ohne es optisch zu erkennen – statt auf modifiziertem Erdöl in Zukunft auf einem intelligenten Verbund aus Naturfasern und Pflanzenölen.