Von der Hetze zur PR

Thymian Bussemer verfolgt die Geschichte der Propaganda und ihrer Erforschung auf nüchterne und einleuchtende Weise. Dabei zeigt er, wie sie den Beigeschmack des Bösen verloren hat

Das Wort weckt immer noch Unbehagen: Propaganda. Der Beigeschmack des Bösen allerdings, der ihm einst anhaftete, hat sich zu verflüchtigen begonnen. Inzwischen wird Propaganda zunehmend als undämonische kommunikative Technik begriffen, ja als sozialer Sachverhalt, durch den moderne Gesellschaften wesentlich geprägt sind.

Die Allgegenwärtigkeit politischer Beeinflussungsversuche ist das Thema der Studie des Kommunikationswissenschaftlers Thymian Bussemer. Die Studie ist hierzulande die erste systematische Darstellung der theoretischen Grundlagen von Propaganda. Zudem belegt sie, dass Wissenschaftsgeschichte keine dröge Angelegenheit sein muss. Denn Bussemers Buch bietet nicht nur einen Überblick über Propagandakonzepte der letzten hundert Jahre, sondern bringt die Forschungsansätze mit konkreten Herrschaftsstrukturen zusammen. Das ist spannend zu lesen – und ernüchternd zugleich, weil deutlich wird, wie bereitwillig die Sozialwissenschaften Dienstleister für politische Eliten spielten, in den USA ebenso wie in Deutschland.

Als inhaltliche Klammer hält das Thema Massenpsychologie den vorderen Teil der Untersuchung zusammen. Hier geht es um Theorien aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in denen Propaganda zuallererst Manipulation bedeutete. Rezipienten wurden nicht als aufgeklärte Individuen gesehen, sondern als irrationale Masse. So galt Propaganda in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg als eine Art Geheimwaffe. Wissenschaftliche Kompetenz auf diesem Gebiet schien dringend erforderlich, wollte man nicht weiterhin das Nachsehen haben gegenüber den Siegermächten.

Diese Auffassung und der Wunsch, die Journalistenausbildung zu professionalisieren, gaben den Anstoß zur Einführung des Fachs Zeitungskunde an den Universitäten. Der von Wissenschaftlern und Werbefachleuten bestimmte Propagandadiskurs der Weimarer Zeit diente vor allem dem Zweck der nationalen Sinnstiftung. Bussemer belegt das anhand von Beispielen wie dem des Staatswissenschaftlers Johann Plenge, aus dessen Schriften zahlreiche Begriffe in die Propaganda des „Dritten Reiches“ (auch dies ein Plenge-Wort) Einzug hielten.

Paradoxerweise kam es nach Hitlers Machtübernahme in Deutschland nie zur Entwicklung einer gut ausgebauten Propagandawissenschaft. Die Nazis begriffen Propaganda als ihre ureigene Domäne und waren an einer ihre Praxis begleitenden Forschung wenig interessiert. Bemerkenswert ist der Aufstieg und Fall des Zeitungswissenschaftlers Hans Amandus Münster und seiner „Leipziger Schule“. Münster war überzeugter Nationalsozialist und arbeitete mit ausgesprochen modernen empirischen Methoden, die erst Jahrzehnte später, freilich unter Berufung auf US- amerikanische Wissenschaftler, Eingang in die deutsche Publizistikwissenschaft fanden.

In den USA war die Propagandaforschung seit den 1930er-Jahren ein prestigeträchtiges Forschungsfeld. Die von dort ausgehende „empirische Wende“ ist Thema des zweiten Teils der Untersuchung. Als Pionier gilt bis heute Paul Felix Lazarsfeld, der ein Konzept eher schwacher Medienwirkungen vertrat: Der bislang vermuteten Macht massenmedialer Überzeugungsarbeit standen seiner Auffassung nach soziale Netzwerke gegenüber, die als Bollwerke im Kommunikationsprozess fungierten. Wobei der Rockefeller-Stipendiat, das legt Bussemer anschaulich dar, stets Auftragsforschung für politische Eliten betrieb. Auch nach dem Zweiten Weltkrieg nahm die Propagandaforschung eine Schlüsselfunktion in den USA ein: Bussemer schätzt den Betrag, den die US-Regierung zwischen 1950 und 1960 jährlich für die Erforschung von Propaganda ausgab, auf rund eine Milliarde Dollar. Zur gleichen Zeit begann man sich in den USA vom empirischen Paradigma zu lösen: Untersuchungen schlugen fehl, der Quantifizierbarkeit schienen Grenzen gesetzt zu sein.

Im dritten und letzten Teil der Arbeit setzt sich Bussemer mit Theorien aus der Zeit nach 1968 auseinander, um letztlich festzustellen, dass Propaganda nun nicht mehr als Mittel der Volksverhetzung, sondern als eines der Interessenartikulation gelte. Seit der in den 1980er-Jahren einsetzenden Transformation der Propaganda- zur PR-Forschung werde Propaganda freilich insbesondere von PR-Praktikern eher als „Altlast“ betrachtet. Dass Propaganda allerdings nach wie vor ein brisantes Forschungsfeld darstellt, zeigen die von Bussemer angeführten Untersuchungen zum Golf- und zum Irakkrieg.

Bussemers Buch ist ganz nebenbei auch eine Geschichte der akademischen Disziplin Kommunikationswissenschaft, allerdings keine besonders schmeichelhafte. Peter Glotz, der gemeinsam mit Harald Wenzel die Dissertation betreut hat, aus der das Buch hervorgegangen ist, schreibt im Vorwort, man könne dieser Arbeit nur wünschen, dass sie breit rezipiert werde. Dem kann man sich anschließen.

JOCHEN VOIT

Thymian Bussemer: „Propaganda. Konzepte und Theorien“. Vorwort: Peter Glotz. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2005, 444 Seiten, 36,90 Euro