Armut kostet Bildungschancen

Arbeitnehmerkammer legte Armutsbericht zum Thema „Armut und Bildung“ vor: 38 Prozent der Jugendlichen verlassen das Schulsystem mit dem Kompetenz-Stand der Grundschule und haben im beruflichen Ausbildungssystem keine Chance

Der Bremer Senat lehnt es ab, einen offiziellen „Armutsbericht“ vorzulegen. Die Arbeitnehmerkammer versucht, die Lücke regelmäßig zu füllen – nach den Themenschwerpunkten „Armut trotz Arbeit“, „Armut und Kinder“ und „Armut und Gesundheit“ war diesmal der Zusammenhang von „Armut und Bildung“ das Thema: Aufgrund der detaillierten Pisa-Untersuchungen wissen wir, dass in Bremen ein Kind mit gut bürgerlichem Hintergrund bei gleicher Begabung 2,8 Mal mehr Chancen hat, einen gymnasialen Bildungsgang einzuschlagen, als ein Kind aus einer sozial benachteiligten familiären Situation. Besonders dramatisch werden diese Zahlen, wenn man hinzu nimmt, dass von 60.000 Sozialhilfe-Empfängern im Jahre 2003 jeder Dritte, also etwa 20.000 Kinder waren. „Die Zahl der Arbeitslosengeld-II-Empfänger steigt mit jedem, der die Schule mit einem schlechten oder ganz ohne Abschluss verlässt“, sagt der Geschäftsführer der Arbeitnehmerkammer, Hans Endl.

Bildung sei eben eine „Investition“ im strengen Sinne, folgert Endl, deren Erträge erst nach Jahren zu sehen seien. Dietmar Kirchhoff, Pisa-Beauftragter beim Bildungssenator, formulierte dasselbe so: „Bildung kann dazu führen, dass Armut verringert wird“. Kirchhoff hat in dem Armutsbericht der Kammer die Pisa-Ergebnisse unter der Überschrift „Armut und Bildungsungleichheit“ untersucht.

Karl Schlichting vom Statistischen Landesamt hat die Bremer Stadtteile und ihre Bildungsbeteiligung genauer unter die Lupe genommen. Es gibt Stadtviertel, in denen bis zu 70 Prozent der Kinder aufs Gymnasium gehen – Schwachhausen, Horn, Oberneuland, Borgfeld. Andere Stadtteile haben 33 Prozent und mehr Hauptschüler. Wobei sich in der Geschichte die Stadtteile verändern: Borgfelds Bildungsbeteiligung ist mit den Programmen für freistehende Einfamilienhäuser zum Beispiel stark angestiegen. Als Tenever vor 30 Jahren noch als Demonstrativ-Bauvorhaben positiv beleumundet war, wohnten dort wenige Sozialhilfeempfänger und Ausländer. Die politischen Flüchtlinge aus Chile, die nach 1973 in Tenever untergebracht wurden, wirkten sich auf die Bildungsstatistik positiv aus: Das waren zum größten Teil junge Erwachsene aus bildungsnahen Familien in Chile.

Ausländer ist ganz offensichtlich nicht gleich Ausländer: Von den vier schwedischen Schulkindern in Bremen, das geht aus Schlichtings Tabellen hervor, gehen genau vier aufs Gymnasium. Von den Kindern aus dem Libanon besucht ein Drittel Sonderschulen für Verhaltensauffällige. Aber insgesamt, so die Schlussfolgerung von Schlichting aus seiner Analyse, nimmt die soziale Trennung nach Wohnquartieren in den letzten Jahren zu: „Vergleicht man die aktuelle Entwicklung der Schulgattungen in den Orts- und Stadtteilen Bremens mit der Situation von vor 20 Jahren, so ist eine Tendenz zur Segregation der Bildungsquoten erkennbar“, formuliert Schlichting. „Ortsteile mit überwiegend bürgerlichen Sozialstrukturen verbesserten ihre ohnehin schon recht hohe Gymnasialquote bei entsprechender Reduzierung des Anteils der Hauptschüler. Dagegen stieg der Anteil der Hauptschüler in den besonders benachteiligten Mehrproblemlagengebieten weiter an. Die Rangfolge der Ortsteile in der Sozialindikatorenanalyse deckt sich weitgehend mit den Resultaten der Bildungsquoten.“

Vor allem unter den Migrantenfamilien nahm die Armut zu, was sich besonders negativ auf die Bildungschancen dieser Bevölkerungsgruppe auswirkt. „Ausländische SchülerInnen, die keinen Schulabschluss erwerben, sind aber gleich in doppelter Hinsicht benachteiligt“, schreibt Volker Pusch von der Arbeitnehmerkammer. Kirchhoff benannte ganz konkret die Faktoren: Wenn die Eltern von Migranten-Kindern kein Deutsch zu Hause sprechen, mache sich das signifikant in den Bildungschancen bemerkbar. Und in der Statistik sei auch zu erkennen, dass es einen großen Nachteil bedeutet, wenn Kinder nicht im Kindergarten waren. Die Kombination von muttersprachlichem Zuhause und Fehlen der Förderung im Kindergarten sei für viele Migranten-Kinder nicht mehr aufzuholen. „Es ist besonders wichtig, auf die Entwicklung bei den Migranten zu achten“, folgert der Geschäftsführer der Kammer, Endl.

Konkrete Forderungen an die Politik hat er nicht aus dem Armutsbericht abgeleitet, nur soviel: Kürzungen bei den aktuellen Haushaltsberatungen dürften nicht sein. Im Vorwort zu dem Armutsbericht hat Volker Pusch derweil eine lange Liste von Forderungen formuliert, die durchaus mehr Geld kosten: „Doppelter Lehrereinsatz, speziell in Grundschulklassen mit hohem Anteil an Migrantenkindern“ steht da zum Beispiel, „Aufwertung des Erzieherinnen-Berufes“ (Fachhochschul-Ausbildung), Umwandlung der Hauptschulen in Ganztagsschulen, „umfassendes Qualitätsmanagement“.

Denn 38 Prozent der bremischen Jugendlichen sind vom Zugang zum Arbeitsmarkt bereits abgeschnitten, bevor sie sich überhaupt für ihn qualifiziert haben“, schreibt Pusch. „Das bremische Bildungssystem schafft es bislang nicht, das Bildungspotential der ihm anvertrauten SchülerInnen umfassend zu fördern. Der Stadtstaat gefährdet damit das, was er für eine erfolgreiche Verfolgung seiner wirtschaftlichen und kulturellen Ziele braucht – eine allseitig gut gebildete Jugend.“

Nur ein wenig tröstlich konnte da sein, was der Pisa-Beauftragte Kirchhoff mitteilen konnte: Die Detailergebnisse der PISA-Studie 2003E zeigen, dass Bremen in allen untersuchten Bereichen einen deutlichen Leistungssprung gemacht hat, nicht nur in den Gymnasien – wie ursprünglich vermutet. Auch die leistungsschwachen Schülerinnen und Schüler verzeichnen verbesserte Ergebnisse, so dass der Anteil der Risikogruppe kleiner wird. Der Länderbericht belegt zudem die besondere Integrationsleistung der Gesamtschulen in Bremen: Den Gesamtschulen gelingt es sowohl ihre schwachen als auch ihre leistungsstarken Schüler zu fördern, so dass die Risikogruppe an Gesamtschulen deutlich geringer ist als an Hauptschulen, die Leistungsspitze ausgeprägter als an Realschulen.

Die Pisa-Auswertung belegt nach den Worten des „Pisa-Beauftragten“ des Bremer Bildungssenators auch, dass „Armut“ in Bremen nicht so stark die Bildungschancen von Jugendlichen determiniert wie etwa in Bayern: „Bei gleicher Kompetenz ist die Chance eines Kindes mit günstigerem sozialen-ökonomischen Hintergrund gegenüber einem mit schwachem sozialen Niveau, das Gymnasium besuchen zu können, um den Faktor 2,83 größer. Der Durchschnittswert in Deutschland beträgt 4,01, den schlechtesten Wert hat Pisa-Sieger Bayern mit dem Faktor 6,65“, erklärte Kirchhoff. kawe