Die Kanzlerin steht nicht zur Debatte

Auch wenn ihre demoskopischen Werte miserabel waren, ist Merkels Führungsanspruch unumstritten

In keiner Gruppe hat die Union solche Einbußen hinnehmen müssen, wie bei den Arbeitern

BERLIN taz ■ Exakt 218.273 Menschen haben dafür gesorgt, dass Angela Merkel heute in aller Ruhe über das Wahlergebnis diskutieren kann. Hätten nur 218.273 Menschen statt der Union die SPD gewählt, wären die Sozialdemokraten die stärkste Fraktion – und Merkel höchstwahrscheinlich längst ihre Ämter los. Doch dank des knappen Vorsprungs für die Union steht ihr Führungsanspruch außer Frage.

Aus Rücksicht auf die frisch gewählte Regierungschefin dürfte auch bei der heutigen „Wahlanalyse“ im CDU-Vorstand die persönliche Verantwortung Merkels für das miserable Abschneiden der Union kaum thematisiert werden. Dabei gäbe es durchaus Anlass, darüber zu sprechen, welchen Anteil sie an einem Wahlausgang hat, der für die CDU sogar um eine Million Stimmen schlechter ausfiel als bei Helmut Kohls Abwahl 1998. So fällt eine Wahlanalyse des Wahlforschungsinstituts infratest für Merkel alles andere als vorteilhaft aus. Lediglich 16 Prozent der Unionswähler gaben demnach an, für sie sei die Kandidatin eine Ausschlag gebende Motivation bei ihrer Entscheidung gewesen. Bei den SPD-Wählern nannten dagegen immerhin 24 Prozent den Kandidaten Gerhard Schröder als Hauptargument für ihre Parteienpräferenz. Auch bei so gut wie allen demoskopischen Befragungen vor und nach der Wahl lag Merkel im direkten Vergleich hinter Schröder. Bemerkenswert ist ferner, dass die Union auch mit der ostdeutschen Spitzenkandidatin Merkel im Osten Deutschlands weiter verlor. Dafür ließe sich allerdings eine Erklärung finden, die Merkel entlastet: Die Beschimpfung der Ostdeutschen durch Edmund Stoiber mitten im Wahlkampf.

Dass die meisten CDU-Politiker das schlechte Wahlergebnis auf mangelnde soziale Wärme zurückführen, liegt auf der Hand: In keiner Berufsgruppe hat die Union so drastische Einbußen hinnehmen müssen wie bei den Arbeitern (minus 7 Prozentpunkte). Schlussfolgerungen daraus zu ziehen, fällt der Union jedoch auch deshalb schwer, weil sie an die Linkspartei nur 290.000 Wähler, an die FDP aber 1,1 Millionen verlor.

Besonders alarmieren müsste die Union noch eine andere Zahl: Bei den Jungwählern zwischen 18 und 24 Jahren sank ihr Anteil auf 26 Prozent. LKW