Ins eigene Fleisch geschnitten

Der Fall Grabitz zeigt, wie wenig Schutz Mitarbeiter genießen, die auf Skandale aufmerksam machen

VON HEIKE HAARHOFF

Das Haltbarkeitsdatum war abgelaufen? Kein Problem, das Grillfleisch wurde umetikettiert. Die Rippchen waren wahrscheinlich mit Knochensägemehl verunreinigt? Die Maschinen liefen weiter. Das Roastbeef war unansehnlich und grau geworden? Sei’s drum. Es wanderte kurzerhand zurück in die Gefrierhallen und verließ diese einige Monate später – mariniert und mit neuem Verfallsdatum versehen – als Rumpsteaks Richtung England. Es sind schwere Vorwürfe, die der 54-jährige Schlosser Klaus Grabitz öffentlich erhoben hat in der Märkischen Allgemeinen Zeitung gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber, die Disselhoff Sachsenkrone GmbH. Der Betrieb mit EU-Zulassung produziert Grillfleisch in der Stadt Brandenburg. Er ist ein Tochterunternehmen der B + C Tönnies Fleischwerk Beteiligungs-GmbH, einem der größten privaten Fleischproduzenten Europas mit Sitz im nordrhein- westfälischen Rheda-Wiedenbrück.

Klaus Grabitz hat in Brandenburg vier Jahre lang die Maschinen gereinigt, bevor ihm im April 2005 fristlos gekündigt wurde. Als Grund führte die Firmenleitung später vor dem Arbeitsgericht Brandenburg an: Klaus Grabitz habe die Unternehmensleitung mit haltlosen Vorwürfen beleidigt. Im Betrieb habe er über mangelnde Hygiene sowie über den Handel mit verdorbenem Fleisch hergezogen und unterstellt, die Firma überlebe nur, weil sie Zollbeamte besteche. „Ich habe nichts zu verbergen“, sagt Klaus Grabitz zur taz, „aber die Firma droht mir mit rechtlichen Schritten, wenn ich das noch mal wiederhole.“ Die Betriebsleitung der Disselhoff Sachsenkrone in Brandenburg stand trotz mehrfacher Anfragen der taz für eine Stellungnahme nicht zur Verfügung. Der Geschäftsführer des Mutterkonzerns in Rheda-Wiedenbrück, Josef Tillmann, weist die Vorwürfe weit von sich. Die Tönnies-Werke produzierten keine Straftaten, sondern gutes Fleisch. Alles andere sei unrichtig. Tillmann: „Wir werden Schritte wegen Verleumdung gegen den Herrn Grabitz einleiten, sollte er weiterhin Dinge äußern, die er nicht belegen kann.“

Mit der Firma beschäftigen sich mittlerweile auch die Staatsanwaltschaften in Potsdam und in Neuruppin: Sie ermitteln gegen die Disselhoff Sachsenkrone wegen des Verdachts eines Verstoßes gegen das Lebensmittelgesetz, illegaler Beschäftigung von Arbeitnehmern sowie wegen Korruption. Geprüft werde jetzt, so die Potsdamer Staatsanwaltschaft, ob es sich bei den mutmaßlichen Verstößen gegen das Lebensmittelgesetz um strafrechtliche Handlungen oder bloß um ordnungswidrige handele. „Die bisherigen Hinweise deuten auf Ordnungswidrigkeiten hin“, sagt der Potsdamer Oberstaatsanwalt Benedikt Welfens. So seien im Juni Putenschnitzel bei höherer Temperatur als erlaubt verarbeitet worden. Weil dies aber nicht zur völligen Ungenießbarkeit des Fleisches geführt habe, könne man nicht von einer Straftat sprechen. Sondern nur von einer Ordnungswidrigkeit. Ein strafrechtlich relevanter Verdacht könne sich allerdings ergeben, wenn verschiedene Mitarbeiter, darunter Klaus Grabitz, detaillierte Aussagen zu dem angeblichen Handel mit verdorbenem Fleisch machten. Die Potsdamer Staatsanwaltschaft will Grabitz und andere dazu in der nächsten Woche vernehmen. Große Hoffnungen macht sich Welfens jedoch nicht: „Das Grundproblem ist die Beweisschwierigkeit. Es ist ja alles verbraucht.“ Klaus Grabitz aber haben seine Beobachtungen, Beweisschwierigkeit hin oder her, den Job gekostet. Im aktuellen deutschen Fleischskandal zeigt sein Beispiel, wie wenig Schutz Mitarbeiter genießen, die auf mögliche Lebensmittelskandale aufmerksam machen. Außerdem gibt es Einblick in die Kontrollsysteme und wirft die Frage auf, wie viel fragwürdiger Umgang mit dem Lebensmittel Fleisch eigentlich toleriert wird, bevor erstmals von einer Straftat gesprochen wird.

Der Reihe nach: Mitte April 2005, erzählt Klaus Grabitz, habe er während der Arbeitszeit beobachtet, wie Zollbeamte mit Potsdamer Autokennzeichen nach einer Betriebsinspektion schwere Fleischpakete in ihren Wagen verstauten. Für ihn sei klar gewesen, dass es nicht mit rechten Dingen zugehe. Wieder einmal nicht, sagt Klaus Grabitz. Denn wegen anderer Dinge, die ihm ebenfalls sauer aufgestoßen seien in der Firma – beispielsweise die mangelnde Hygiene, beispielsweise die Umetikettierung von Fleischprodukten –, habe er bereits in der Vergangenheit bei der Geschäftsleitung vorgesprochen.

Während der Frühschicht vom 15. April 2005, so ist es in der Akte seines späteren Prozesses vor dem Arbeitsgericht Brandenburg nachzulesen, macht er seinem Unmut Luft. Die Worte „Bestechung“ und „vergammeltes Putenfleisch“ sollen gefallen sein. Die Betriebsleitung kündigt ihm daraufhin fristlos. Klaus Grabitz klagt gegen die Entlassung. Bei der Staatsanwaltschaft in Potsdam, die wegen Schwarzarbeit gegen die Disselhoff Sachsenkrone ermittelt, geht seine Strafanzeige ein: Zollbeamte hätten am 13. April 2005 Fleischpakete von der Brandenburger Firma angenommen. Die Staatsanwaltschaft in Neuruppin, spezialisiert auf Korruption, übernimmt den Fall; der Komplex „illegale Beschäftigung“ bleibt bei den federführenden Kollegen in Potsdam. Im August 2005 erhält die Staatsanwaltschaft Potsdam Kenntnis von einer weiteren Anzeige gegen die Disselhoff Sachsenkrone: Verstoß gegen das Lebensmittelgesetz. „Diese Anzeige ging im Rahmen der Auseinandersetzung vor dem Arbeitsgericht ein“, sagt Oberstaatsanwalt Welfens. Die Potsdamer Staatsanwälte beauftragen daraufhin das Gesundheits-, Veterinär- und Lebensmittelüberwachungsamt in Brandenburg als zuständige Kontrollbehörde mit einer außerordentlichen Betriebskontrolle und benachrichtigen Anfang September auch das Landeskriminalamt in Eberswalde. Was Staatsanwaltschaft und LKA nicht wissen: Das Veterinäramt wird bei seiner Kontrolle nicht eine einzige Fleischprobe nehmen, um die Vorwürfe zu überprüfen. Der zuständige Amtstierarzt Knut Große, 50, sieht darin kein Problem: „Unsere Kontrolle“, sagt er, „ist immer nur eine Kontrolle der Eigenkontrolle“. Nur „ganz selten“ würden Proben vom Fleisch selbst oder vom Fertigprodukt genommen. Beispielsweise im Juni, als ein Mitarbeiter das Veterinäramt über die Putenschnitzel und die hohen Temperaturen alarmierte. Gewöhnlich aber lasse er sich die Kontrollpapiere über den Produktionsablauf, zu deren Erstellung jeder Betrieb mit EU-Zulassung, also auch die Disselhoff Sachsenkrone, selbst verpflichtet sei, vorlegen und prüfe deren Plausibilität. „Wie soll das auch sonst gehen“, fragt Große. Er und seine sieben Mitarbeiter im Veterinäramt Brandenburg kontrollieren knapp 1.000 Betriebe – von der Imbissbude bis zum Fleischgroßbetrieb. „Wir kommen zwar unangemeldet und an jedem Tag, an dem Fleischzubereitungen produziert werden, aber wir haben meistens nur eine Stunde Zeit.“ Im Klartext: Schäden biologischer, physikalischer und chemischer Art sowie mögliche personenverursachte Schäden bei der Fleischverarbeitung obliegen der Kontrolle durch den Betrieb, der sie im Zweifel auch verursacht und dem am Profit seiner Produktion gelegen ist. Der Amtstierarzt als unabhängiger, staatlicher Kontrolleur kommt ihnen bestenfalls auf die Spur, wenn es Ungereimtheiten in den Papieren gibt.

„Das ist ja so, als wenn man einen Drogenkurier fragt, ob er Drogen dabei hat“, empört sich der Oberstaatsanwalt Welfens. Doch in der Lebensmittelkontrolle scheint diese Praxis durchaus gängig und wenig umstritten zu sein. Betriebe mit EU-Zulassung, sagt der Vorsitzende des Bundesverbands der Lebensmittelkontrolleure, Hans-Henning Viedt, müssten sehr hohe Qualitätsstandards erfüllen, um diese Zulassung überhaupt zu bekommen. So, als sei diese Eingangshürde bereits eine Garantie für lebenslanges musterhaftes Verhalten. Das Prinzip der Eigenkontrolle, dem sich die EU-zertifizierten Betriebe sodann verpflichteten, bedeute, dass jeder einzelne Arbeitsgang, von der Eingangskontrolle über die Reinigung bis zur Produktion, detailliert beschrieben werde. Viedt: „Wenn da etwas nicht stimmt, das stellen Sie garantiert fest.“

Mit der Firma beschäftigen sich mittlerweile auch die Staatsanwaltschaften in Potsdam und in Neuruppin

Anzuzweifeln sei in der Regel weniger die Effizienz der Kontrollmethode denn die Glaubwürdigkeit der Zeugen. „Unsere Erfahrung ist: Wenn Leute entlassen werden, dann haben sie meistens Dreck am Stecken und sagen Dinge, die nicht der Wahrheit entsprechen“, sagt Viedt. Für Klaus Grabitz allerdings spricht, dass er seine Vorwürfe bereits Monate vor dem aktuellen Fleischskandal erhoben hat und von daher schwer als „Trittbrettfahrer“ bezeichnet werden kann.

In Brandenburg wurde schließlich tatsächlich festgestellt, dass etwas nicht stimmte – allerdings nur von Beschäftigten. Mehrere von ihnen haben sich mittlerweile an die Märkische Allgemeine gewandt und ihre Aussagen anonym zu Protokoll gegeben. Das LKA, das nach eigenen Angaben bereits Anfang September „ein Signal“ von der Staatsanwaltschaft Potsdam über mögliche Missstände bei der Disselhoff Sachsenkrone erhalten hatte, wartete mit seinen Ermittlungen brav bis Ende November, bis sich das Veterinäramt bequemte, dem LKA Einsicht in seinen Bericht zu gewähren. Das geschah zufällig an dem Tag, an dem die Märkische Allgemeine ihren ersten großen Artikel veröffentlichte. „Der Ermittlungsstand“, referiert der LKA-Sprecher Toralf Reinhardt die Angaben des Amtstierarztes, „lief dann darauf hinaus, dass es sich nicht um strafrechtlich relevante Vorfälle handelte.“ Deswegen habe das LKA davon abgesehen, selbst Material zu beschlagnahmen oder eigene Proben zu nehmen. Denn: „Das reine Überschreiten des Verfallsdatums kann unter Umständen keine Straftat sein.“

Klaus Grabitz ist seinen Job bis auf Weiteres los. Das Amtsgericht Brandenburg hat die fristlose Kündigung wegen Beleidigung des Betriebsleiters bestätigt. Die politische Forderung nach einem besseren Zeugenschutz bei Lebensmittelskandalen kommt zu spät und greift nicht für einen, der seinem Zorn Luft gemacht und öffentlich drauflos gepoltert hat, erst in der Frühschicht im Betrieb, dann in der Zeitung. Klaus Grabitz bleibt jetzt noch die Hoffnung auf die zweite arbeitsrechtliche Instanz und die Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft. Bis dahin, droht Josef Tillmann, der Geschäftsführer der B + C Tönnies Fleischwerk Beteiligungs-GmbH, wie gesagt mit Verleumdungsklage. Im Mutterhaus in Rheda-Wiedenbrück jedenfalls sei man sehr überrascht über die Vorwürfe aus Brandenburg. „Ich“, sagt Tillmann, „habe das intern mal recherchiert. Aber bei uns hat sich bislang niemand gemeldet, weder die Staatsanwaltschaft, noch das Veterinäramt, noch das LKA.“