Medienschlachten an der Bar

Kranken am Charakter einer Fachmesse: Die Leistungsschau der freien Theater „Impulse 2005“, die derzeit in Bochum wie auch Düsseldorf, Köln und Mülheim stattfindet, leidet an Schneetreiben und Zuschauerschwund

Auffällig, wie das Theater aus Materialcollagen und Medienanleihen besteht und sich immer stärker bei der bildenden Kunst bedient

Gut besucht ist es nicht gerade: Das unerwartete Schneetreiben und die Weigerung der Lehrer in NRW, ihre Schüler ins Theater zu führen, haben der „größten Leistungsschau des deutschen Off-Theaters“, dem Festival „Impulse“, in der ersten Hälfte die Zuschauerbilanz vermasselt. Und das nach viel Streit, warum das mit 500.000 Euro großzügig geförderte Festival nur noch alle zwei Jahre stattfinden darf. Eine Neuregelung, die weltfremd wirkt: Welche freie Produktion hat schon eine so lange Überlebenszeit?

Was in einem Land, das fest in der Hand des Stadttheaters ist, noch „frei“ heißen kann, ist ohnehin die Frage: Schon die Durchsicht des Programmhefts zeigt, dass kaum ein Projekt ohne Koproduktionen mit Häusern, Festivals und Institutionen möglich wäre. Insofern hat „Impulse“ eher den Charakter einer Fachmesse – auch wenn sogar der neue Bundestagspräsident Norbert Lammert seine Liebe dafür entdeckt hat und eine Vorstellung von „Planet Porno“ besuchte. Das entspannte, in Berliner Trash-Lässigkeit nachgestellte Fernsehgeplauder gehört aber sicher nicht zum Interessantesten, was die Jury aus rund 400 Aufführungen ausgewählt hat. Doch es ist typisch für die Ausgabe 2005, die Medienkritik groß schreibt: Milchgesichtige, wunderschöne Schauspielerinnen führen vor, was täglich durch die Fernseher geblasen wird – nicht viel, aber man kann es lustig darstellen. Zweifellos amüsant und jugendfreundlich, ist die Brechung zu schwach; man könnte genauso gut gleich einen Fernseher auf die Bühne stellen. Der Erfinder des zum „Kult“ avancierten Formats ist der ehemalige Volksbühnen-Regieassistent Patrick Wengenroth, der sich als Fassbinder-Kopie stilisiert.

Das tägliche Mediengewucher wird auch bei „RAF unplugged“ von Barbara Weber thematisiert, koproduziert von der Züricher Gessnerallee, dem HAU und dem Berner Festival „auawirleben“. Die Bühne ist ein Kramladen mit den schönsten RAF-Souvenirs. Kopien legendärer Bild-Zeitungs-Artikel über den deutschen Herbst, Che als skelettiertes Pin-up und Baader/Ensslin als schöne Liebende: eine Müllhalde der glorreichen Erinnerungen, die peinlich geworden sind. So wirkt es jedenfalls, wenn drei Schauspieler und ein Musiker nach der „Urszene des Terrorismus“ suchen und im Schnellverfahren durch die RAF-Geschichte zappen. Jeder spielt mehrere Terroristen, die Namen der Toten werden auf dem Whiteboard durchgestrichen. Natürlich ist lächerlich, dass Viett, Boock, Proll ihre Terrorismuserfahrung in Erinnerungsbüchern, Fotobänden oder Belletristik versilbern, aber ebenso lächerlich ist, wenn die Schauspieler Gummigranaten in choreografierten Gruppentänzchen entzünden, als wüssten sie genau, dass es sich damals nur um kleingeistige Posen gehandelt hat. So weit distanzieren sie sich, dass sie noch nicht einmal nötig fanden, Text zu lernen: Meist lesen sie von Zetteln ab, die an die Mikros gehängt sind.

Ernsthafter für sein Thema interessiert sich Roger Vontobel mit der „Hermannsschlacht“, diesem ideologischen Unfall von Kleist: ein Stück, in dem so ungebrochen ein blutrünstiger Nationalismus verherrlicht wird, dass man sich kaum noch vorstellen kann, dass es ernst gemeint ist.

Vontobel gehört zu den jungen Theaterhoffnungen, deren Auftragsbuch auf Jahre gefüllt sein dürfte: Der Absolvent der Hamburger Hochschule für Musik und Theater ist seit dieser Spielzeit Hausregisseur am Hamburger Schauspielhaus und verkehrte vorher in Salzburg, Stuttgart und Bochum. Jeder Krieg entsteht aus nichts: Auf der leeren Bühne sitzen vier Schauspieler und lesen Zeitung. „Scheiße, da sind Leute“, entdecken sie die Zuschauer, und dann geht es in die Metaebenen – wer nichts zu tun hat, sitzt abgewandt an der Bühnenrampe. Erst ist die „Hermannsschlacht“ nur eine witzige Reflexion auf die Schauspielerarbeit, eine Reportage über das Finden des richtigen Tonfalls, dann geht es immer tiefer ins Stück. „Wir können alles schaffen, wir müssen nur wollen“ grundiert der Soundtrack von „Wir sind Helden“ den deutschen Gründlichkeitswahn.

Aufgeräumt werden muss bei Kleist mit den Römern respektive mit der napoleonischen Herrschaft – bei Vontobel sind es nun die Weltkonzerne, die sich Milliarden in die Tasche stecken und das soziale Netz abbauen. Wie ein Mitglied der WASG hetzt der kahlköpfige Rocker Hermann die blond bezopfte Tusnelda gegen den sanften Römer Ventidius auf, bis der auf Video gefoltert wird. Eine souverän inszenierte deutsche Selbstanklage.

Fragt man bei den „Impulsen“ nach neuen Theaterformen, fällt auf, wie sehr das Theater momentan aus Materialcollagen und Medienanleihen besteht und sich immer stärker bei der bildenden Kunst bedient. Wie ein irritierende Kunstinstallation wirkt „Big, 2nd episode“ der Wiener Gruppe Superamas. Eine brillante Stunde in Medientheorie: In einem Beauty-Salon und an einer Whisky-Bar treffen eine wie gemalt wirkende Stewardess und zwei amerikanische Filmhelden aufeinander, die wir zuvor auf der Videoleinwand zu sehen vermeinten. Sie bewegen nur ihre Lippen zu englischem Vollplayback: Auf die Spitze getriebene Künstlichkeit – soll man noch von Theater sprechen? Ständig werden die Szenen deckungsgleich wiederholt: Im Medienzeitalter ist vermeintlich alles reproduzierbar. Kleine Abweichungen verändern die Bedeutung: ein Blick macht die Societylady zur Barhure. Selbst als es eine Schießerei gibt, alle Lichter ausgehen und die Zuschauer minutenlang im Dunkeln sitzen, wird kurzerhand die Barwand gedreht und die zerschossenen Flaschenhälse durch heile ersetzt. Grell führen Superama unser Katastrophenbedürfnis vor, unsere wohligen Ängste davor und unsere falsche Gewissheit, dass sie reparabel seien. DOROTHEA MARCUS