Die zwei Gesichter der M.

Einst galt Angela Merkel als sauertöpfisch, kalt, bestenfalls strategisch. Seit sie – politisch – mit Franz Müntefering verheiratet ist, hat das Land ein harmonisches und grundgutmütiges Paar an der Spitze

VON CHRISTIAN SCHNEIDER

Es ist nicht lange her, da begegnete man in den Journalen und Gazetten einer Angela Merkel mit heruntergezogenen Mundwinkeln, leicht glasigem Blick und einem Ausdruck, der von Unsicherheit und Arroganz zu zeugen schien. Fotoredaktionen machten sich einen Sport daraus, möglichst undankbare Bilder in Umlauf zu bringen, ein gewisses Quantum männlicher Häme (oder, was schlimmer sein kann: genderbestimmter „Solidarität“) war ihr allein durch die Tatsache sicher, sich als Frau ins politische Haifischbecken begeben zu haben. Von den ihr gegenüber ursprünglich kritisch eingestellten Blättern war es der Spiegel, der den entscheidenden Schwenk machte. Noch vor den lieblich lächelnden Wahlkampfplakaten der Spitzenkandidatin brachte das Hamburger Magazin ein neu gestyltes, weich gezeichnetes Gesicht der CDU-Vorfrau unter die Leute, das ihre sympathischen Seiten sichtbar werden ließ.

Was immer das Kalkül der Spiegel-Strategen gewesen sein mag: sie waren die frontrunner. Sie haben, die Nase peilgenau im Wind, schon vor der Wahl vorgeführt, was jetzt eifrige Praxis nahezu sämtlicher Publikationshäuser der Republik ist. Der ganze riesige Medienapparat übt sich in einem hierzulande ungewohnten Genre: Wie entwirft man das Bild einer „Landesmutter“? Denn auch dies gehört zur Logik der großen Koalition: Es gibt kaum mehr Redaktionen, die ein Interesse daran haben können, die Kanzlerin herunterzumachen. Jetzt, wo sie als Herrin einer gigantischen parlamentarischen Mehrheit Deutschland vertritt, gilt es, ein Bild von ihr zu zeichnen, das der ihr entgegengebrachten Hoffnung zu entsprechen vermag.

Vor der Wahl war die Merkel-Imago bei Freund und Feind von Klischees bestimmt, die allgemein „Aufsteigerfrauen“ vorbehalten sind. Strategisch sei sie. Kühl, wenn nicht kalt „durchregierend“. Machtbewusst, und im Zweifel gehe sie – siehe das Schicksal ihres alten Ziehvaters Kohl oder das ihres Förderers Schäuble – über Leichen. Eine Umsetzung der altenglischen Formel von der „eisernen Lady“ auf bundesdeutsche Verhältnisse schien sich anzubieten: Die „harte Reformerin“, die mit einer Mischung aus ärmelaufkrempelnder Trümmerfrauenmentalität und zupackender, vor tiefen Einschnitten ins Gewohnte und Geliebte nicht zurückschreckenden Wirtschaftsgesinnung die marode Republik umkrempelt.

Dieses Image ließ die Neoliberalen sich die Hände reiben. Angela Merkels Vor-Wahl-Gesicht war das Paul Kirchhofs. Flat Tax, weg mit den alten Zöpfen, vor unserer Sense sind alle Köpfe gleich – wenigstens nach dem Schnitt.

Und heute? Ist ein Wunder geschehen? Die neuen Merkel-Präsentationen erinnern teilweise an die Heiligenbildchen, die man früher als Lesezeichen ins Gesangbuch legte,und die anlässlich der Papstwahl Kardinal Ratzingers weltlich geworden und auf neuestes Hochglanzformat gebracht worden sind. Die harte Karrierefrau ist zur strengen, aber warmherzigen Beschützerin und Bewahrerin mutiert. Ein bisschen Mutter Oberin, ein bisschen rechenhafte, aber doch grundgutmütige Hausfrau, die mit Fleiß und Umsicht den Laden zusammenhält. Im Gespräch mit den Großen der Welt noch ein wenig scheu, aber erkennbar tapfer. Das Händeschütteln in der Masse gelingt gut, und selbst die größte mediale Klippe: der – nicht zu distanzierte, nicht zu anbiedernde – Umgang mit blumenüberreichenden Kindern gelingt. Warum sah man all das nicht früher?

Das erstaunlichste Bild aber ist jenes, das die Kanzlerin an der Seite ihres Vize zeigt. Angesichts der wenig Wahlverwandtschaft aufweisenden politischen und persönlichen Optionen der beiden Regierenden grenzt es tatsächlich an ein Wunder, wie schlüssig die Inszenierung gelingt. Mit Franz und Angie hat Deutschland erstmals im politischen Feld ein „großes Paar“ gefunden. Nichts wünschen sich die Deutschen mehr. Wenn es zugeht wie in der Familie, ist Politik – meinen sie – auf ein menschliches Maß gebracht. Mit den Bildern strukturiert sich auch der Diskurs um. Nein, natürlich nicht bei den Politologen, Wahlforschern und anderen Experten fürs Regierungsgeschäft. Aber beim Bild-lesenden „obersten Souverän“.

Und tatsächlich, die Bilder scheinen es zu beweisen: Wenn Angie mit ihrem Franz zusammensitzt, dann wirkt die Harmonie irgendwie ansteckend. Und so herzhaft parteiübergreifend, ja seitenverkehrend. So, als säße da ein wilhelminisch streng konservativer Vati mit seiner netten sozialdemokratischen Mutti. Keine Frage: Das neue Gesicht der Angela Merkel ist Franz Müntefering.