Vorhang auf für den großen Unbekannten

Kennen Sie diesen Mann? Nein? Der Kulturszene ergeht es ebenso. Dabei hängt von Bernd Neumann (CDU), dem neuen Staatsminister für Kultur, viel ab – vor allem, ob Berlin Hauptstadt der zeitgenössischen Kultur bleibt. Die Szene ist skeptisch

VON TINA HÜTTL

Das schon ergraute Haar trägt er rechts gescheitelt, seine Anzüge stets mit Krawatte. Wirklich auffällig sind nur die leicht schlaffen Backen, die er mit seiner Chefin, der Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), gemein hat. Den neuen Kulturstaatsminister Bernd Neumann (auch CDU) innerhalb einer Menschenmenge herauszufischen, fällt auch der Berliner Kulturszene nicht leicht – weshalb Neumann bei der Schlüsselübergabe für das Bodemuseum vergangene Woche etwas verloren herumstand.

Immerhin: Seitdem kursieren Fotos von ihm in der Hauptstadt. Kultursenator Thomas Flierl (Linkspartei.PDS) dürfte es also nicht allzu schwer haben, ihn zu erkennen. Noch in diesem Jahr wollen sich der CDU- und der PDS-Mann beschnuppern. Es wird das allererste Date der beiden überhaupt, wie Flierls Pressesprecher Torsten Wöhlert verrät. Über die Inhalte herrscht Stillschweigen. So ist weiterhin nur bekannt, dass die CDU nicht allzu viel von der Linkspartei hält. Und dass Neumann nicht als schöngeistiger Intellektueller, dafür aber als ein gut vernetzter Taktiker gilt.

Neumann ist weniger Schöngeist denn Taktiker

Flierl wird es also nicht leicht haben. Doch gerade ihm, der bisher vor allem dadurch aufgefallen ist, dass er notorisch unterfinanzierte Berliner Kultureinrichtungen und -projekte mit Freuden in die finanzielle Obhut des Bundes abgegeben hat, muss viel an einem gelungenen Treffen liegen. Seinen größten Wunsch hat er vorab tapfer in eine Pressemitteilung verpackt: Er erwarte von Neumann, schreibt Flierl da, dass die konstruktive Zusammenarbeit fortgesetzt werde, die vom „gemeinsamen Interesse an einer verstärkten Übernahme gesamtstaatlicher Verantwortung und deutlicher kulturpolitischer Präsenz des Bundes in seiner Hauptstadt“ geprägt war.

Noch im Bundestagswahlkampf hatte die CDU mehrfach angekündigt, über die besondere Berlin-Förderung des Bundes nachdenken zu wollen. Viel Zeit dazu hatte Neumann zwar noch nicht. Aber gleich nach seiner Ernennung durch Kanzlerin Merkel erklärte er am 22. November: Der Bund halte an seiner besonderen Verpflichtung für die Hauptstadt fest – und auch an dem befristeten Hauptstadtkulturfonds (HKF).

Das klingt gut für Berlin und auch für den Wackelkandidaten HKF. Doch die Krux könnte in dem kleinen Zusatz „befristet“ stecken. Der Fonds, der 1999 zwischen dem Bund und dem Land Berlin eingerichtet wurde, läuft 2007 aus. Mit 11,65 Millionen Euro vom Bund ausgestattet, dient er dazu, auf Zeit innovative Einzelprojekte, die von nationaler und internationaler Bedeutung sind, zu bezuschussen. In der Vergangenheit gefördert wurden etwa die Bespielung des Palastes der Republik, aber auch das brasilianische Tanz-Festival „Move Berlin“. Zuletzt stand der HKF bei CDU-Mann Norbert Lammert, der eine Zeit lang als Kulturstaatsminister gehandelt und dann doch Bundestagspräsident wurde, jedoch auf der Abschussliste.

Die kulturpolitische Sprecherin der SPD im Abgeordnetenhaus, Brigitte Lange, fühlt sich daher „alarmiert“, was die Verlängerung des HKF angeht. Neumann sei keiner, der sich bisher für Berlin hervorgetan habe. Gerade die innovativen und bisweilen schrägen Projekte, die bisher unterstützt wurden, müssten geschützt werden. Sie beförderten den Ruf Berlins als zeitgenössische Kulturmetropole.

Im Abgeordnetenhaus fürchtet man derweil nicht nur um die finanzielle Ausstattung des Fonds, sondern auch um dessen inhaltliche Ausrichtung. Für die grüne Vorsitzende des Kulturausschusses, Alice Ströver, ist die personelle Besetzung des frei werdenden Kuratoren-Postens im Mai 2006 die entscheidende Messlatte. An ihr werde man sehen, ob Neumann unter Kultur nicht nur ehrwürdige Institutionen – die hierfür unter Konservativen gern benutzte Floskel ist „Leuchttürme“ – oder aber auch die Förderung experimenteller Projekte versteht.

Wie die Berliner Kulturpolitik, die ihre Rechnung nun erst mal mit dem großen Unbekannten machen muss, geht es den meisten Kulturschaffenden in der Stadt. Kaum jemand hat Neumann bisher kennen gelernt, kaum einem sind dessen politische Ideen bekannt. Laut Ströver muss er das Vertrauen der Szene erst gewinnen. Sie sieht in ihm einen „durchaus fachkompetenten Machtmenschen“, aber keinen, der in die „geistigen Tiefen der Kultur“ herabsteigt.

So hoch sind die Erwartungen der Berliner Szene jedoch gar nicht. Andreas Broeckmann beispielsweise, der das Medienkunstlabor „Tesla“ im Podewil’schen Palais leitet und darüber hinaus die „Transmediale“ organisiert, ist froh, dass nach wochenlanger Unsicherheit endlich jemand dieses Amt wieder innehat. Noch dazu jemand, der schon im Kulturausschuss des Bundestages gesessen hat und damit „grundsätzlich mit dem Thema vertraut ist“, formuliert er diplomatisch.

Ähnlich vorsichtig äußert sich Amelie Deuflhard, die künstlerische Leiterin der Sophiensäle und Initiatorin der Zwischenpalastnutzung des Palastes der Republik. „Entscheidend ist nicht, ob Neumann sich für innovative Kulturprojekte interessiert, sondern ob er Weitsicht hat“, sagt sie. Letztere traut sie dem erfahrenen Politiker zu. Denn dumm wäre jemand, so Deuflhard, der die beiden wichtigsten Innovationsinstrumente für zeitgenössische Kultur kappt. „Sowohl die HKF-Mittel als auch die Gelder aus der Bundeskulturstiftung haben entscheidend zum Erfolg von Berlins, ja ganz Deutschlands modernem Image beigetragen.“ Auch die Sophiensäle profitieren von der Förderung.

Berlin steht für das moderne Deutschland

Ob alternative Produktionsstätten oder kulturelle „Leuchttürme“ – für Berlin ist ein gutes Verhältnis zum Bundeskulturbeauftragten alles andere als unwichtig. Die Gelder des HKF und der Bundeskulturstiftung sind dabei nur ein verhältnismäßig kleiner Batzen. Insgesamt fließen jährlich 428 Millionen Euro aus dem Etat des Bundes in die Hauptstadtkultur. Das entspricht fast der Hälfte (über 47 Prozent) aller Kulturmittel, die der Bund zur Verfügung hat. Zum Vergleich: Der Kulturetat des Landes Berlin umfasst für 2007 nur mehr 350 Millionen Euro.

Diese „Vormachtstellung“ der Hauptstadt bleibt bekanntlich nicht ohne Reibungen, wie etwa die Verfassungsklage Baden-Württembergs beweist. Das Land wehrt sich dagegen, dass der Bund die Berliner Akademie der Künste unter seine Obhut genommen hat. Von Neumann wünschen sich die Berliner Kulturpolitiker daher verständlicherweise, dass er moderierend zwischen Berlin und den Ländern vermittelt und sich klar zu Berlin bekennt. Ob Neumann, der seit 1998 als Bundestagsabgeordneter vor Ort sitzt, aber „hauptstadtbewusst“ ist, muss sich noch zeigen. Eines hat er jedenfalls schon angekündigt: Er wolle nicht in Konflikt mit den anderen Ländern treten. Das spricht nicht gerade für einen engagierten Einsatz zugunsten Berlins.

Da ist es ein Glück, dass die Grundlage des Bundesengagements, der so genannte Hauptstadtkulturvertrag, gemäß der Koalitionsvereinbarungen endlich verfassungsrechtlich festgeschrieben wird. Konkrete finanzielle Zusagen sind damit allerdings nicht verbunden. Bisher erhält die Stiftung Preußischer Kulturbesitz den mit Abstand größten Anteil der knapp 430 Millionen Euro. Rund 210 Millionen Euro jährlich steckt sie in ihre 17 Museen, den Erhalt der Staatsbibliothek sowie die Restaurierung der Museumsinsel, eine der größten Bauinvestitionen in der Stadt. An dem Prestigeprojekt Museumsinsel, das auch die anderen Länder befürworten, werde wohl nicht gerüttelt, schätzt die SPD-Politikerin Lange. Auch an der gesicherten Zukunft für die vom Bund bereits übernommenen Kulturinstitutionen zweifelt sie nicht.

Die „Leuchttürme“ werden weiter strahlen

Neben der Museumsinsel fördert oder finanziert der Bund noch zahlreiche Einrichtungen in der Stadt: das Jüdische Museum, das Deutsche Historische Museum, die Akademie der Künste, die Berlinale und das Haus der Kulturen der Welt sind nur einige prominente Beispiele. „Neue werden nicht mehr dazukommen“, sagt Lange.

Für das arg marode Opernhaus Unter den Linden ist das keine gute Nachricht. Immer wieder hatte die Stadt mit einer Bundesfinanzierung der Sanierungsarbeiten, letztlich sogar mit der Übernahme der gesamten Lindenoper durch den Bund geliebäugelt. 120 Millionen Euro werden allein die Reparaturen nur des Nötigsten an der Oper und dem Magazinhaus verschlingen, schätzt der Opern-Stiftungsrat. Das Pleite-Berlin kann das allein nicht schultern. Auch ob der jährlich sinkende Haushaltsetat von derzeit 110 Millionen Euro für den Betrieb der drei Opernhäuser zukünftig ausreicht, weiß nicht einmal Michael Schindhelm, der Generaldirektor der Opernstiftung, mit Gewissheit. Er hofft, dass „das letzte Wort bezüglich eines Engagements des Bundes bei den Opern nicht gesprochen ist“.

Diese Hoffnungen geschürt hatte zuletzt Angela Merkel selbst. In einem Interview mit der FAZ im Juli 2005 favorisierte die damalige Kanzlerkandidatin die Übernahme der Lindenoper durch den Bund. Gleichzeitig sprach sie sich aber dagegen aus, das Stiftungskonstrukt wieder aufzulösen. Gesprächsbedarf gibt es also genug. Besuchen konnte Schindhelm den Staatsminister Neumann allerdings noch nicht. Wie Flierl wartet er noch auf seinen Termin. Bis dahin bleibt Neumann der große Unbekannte in der Hauptstadt.