Der Souveräne

Mit Schlammtönen gegen McDonald’s: Der bedeutende Maler und Kulturkämpfer Francisco Toledo erhält morgen den Alternativen Nobelpreis

Das Kolonialstädtchen Oaxaca im Süden Mexikos ist von sanfter Pracht. Kolonialer Prunk und indigen inspirierte Künste scheinen – inmitten einer bitterarmen Region – vergleichsweise friedlich zu koexistieren. 1987 wurde die Altstadt von Oaxaca, gesprochen Oachaka, von der Unesco zum Weltkulturerbe ernannt. Dass die 300.000-Seelen-Stadt sich eine kulturelle Souveränität bewahrt, wie sie in Lateinamerika nur selten anzutreffen ist, verdankt sie vor allem dem Künstler und Kulturmäzen Francisco Toledo. Dafür erhält der 65-Jährige morgen in Stockholm den undotierten Ehrenpreis Right Livelihood, besser bekannt als Alternativer Nobelpreis.

Der Maler selbst ist noch als Mittsechziger eine verwirrend attraktive Erscheinung. Auf den internationalen Kunstmärkten wird Toledo so hoch gehandelt wie kaum ein anderer lebender Künstler Mexikos. Dennoch gilt er als publikumsscheuer Eigenbrötler, der so zurückgezogen wie irgend möglich lebt. Geboren wurde Francisco Toledo 1940 in Juchitán, der Heimatstadt der stolzen Zapoteken an der südmexikanischen Pazifikküste. Er wuchs in der Provinzhauptstadt Oaxaca auf, schon als 17-Jährigen zog es ihn dann hinaus in die größere Welt. Zunächst nach Mexiko-Stadt, kurz darauf verschlug es ihn nach Paris. In wenigen Jahren macht sich der junge Mexikaner in London, Amsterdam und New York einen Namen. Mitte der Sechziger kehrt er nach Mexiko und Anfang der Neunziger nach Oaxaca zurück, wo er sich den zapotekischen Bilderwelten zuwendet.

Toledos Gemälde, Zeichnungen und Lithografien leben nicht von der knalligen Farbig- und Flächigkeit, wie man sie der mexikanischen Kunst seit den Muralistas, den Wandmalern, als Erkennungsmerkmal zuschreibt. Seine Bilder sind vielmehr in Grau- und Schlammtönen gehalten, verschlungene Linien, die zu surrealen Universen verwoben sind, bevölkert von vielbeinigem Getier, Kröten und Krebsen, Spinnen und Heuschrecken, aber auch Frauen- und Männerleibern, nackten Bäuchen und erigierten Schwänzen. Kritiker lesen in seinem Werk immer wieder Querverweise zu den Kunstwelten der Moderne. Der Maler selbst schert sich um kunsthistorische Einordnungen kaum. Nur auf exotistische Schubladen reagiert er allergisch. Und anlässlich einer Kunstschau in London, wo er als „Schaman“ oder zapotekischer Dandy gefeiert wurde, konstatierte er lakonisch: „Sie suchen wohl eine neue Frida Kahlo.“

Anders als die kokette Kahlo scheint der wortkarge Toledo den Ruhm nicht sonderlich zu genießen. Doch er weiß ihn zu nutzen. Seiner Initiative verdankt Oaxaca eine grandiose Bibliothek und eine imposante Grafiksammlung, ein modernes Fotografiezentrum, ein Museum zeitgenössischer Maler aus Oaxaca, sogar eine Papiermanufaktur für Naturpapierschöpfung. Das ehemalige Wohnhaus Toledos fungiert als Kommunalkino. Zusammen mit 30 Kulturschaffenden rief er 1993 die Stiftung Pro-Oax ins Leben, die für den Kulturschutz der Region mobilisiert – gegen die Zweckentfremdung prähispanischer Ruinenstätten durch Shopping-Centers, aber auch durch illegale Bauernsiedlungen oder gegen die „visuelle Verschmutzung“ durch Werbetafeln in der Altstadt.

Dabei gründet sich der Kulturkampf Toledos weniger auf puristische Traditionspflege denn auf die Kraft des ästhetischen Arguments – auch kulinarisch. So hatte vor ein paar Jahren McDonald’s versucht, an der zentralen Plaza eine neue Filiale zu eröffnen. Monatelang hatte der Fastfood-Fabrikant die Stadtverwaltung umworben und den „Respekt“ für die Kolonialfassaden versprochen. Vergebens, die Oaxaqueños, berühmt für ihre exquisite Küche, fanden die Hamburger-Station in ihrer Altstadt schlicht „überflüssig“. Als Höhepunkt des Bürgerbegehrens gegen die Burger-Invasion organisierte Toledo auf der Plaza eine gigantische Tamaliza, ein großes Fressen abertausender von Tamales, eine jener prähispanischen Speisen, die bis heute in ganz Mexiko an jeder Straßenecke verzehrt werden.

Doch nicht nur die Multis stehen im Visier. Als die Landesregierung die Plaza mit weißen Zementbänken modernisieren wollte, schleppte der Künstler mit seinen Leuten stundenlang ein schmiedeeisernes Holzbänkchen durch die Stadt – und erreichte, dass die Regierung ein Einsehen hatte. Große Freude hat Toledo an derlei Aktivismus nicht. Müde sei er, meinte der Maler kürzlich in einem seiner seltenen Zeitungsinterviews. Nach dem Bänkchen-Schleppen habe er Tage lang einen steifen Arm gehabt. ANNE HUFFSCHMID