Die Katastrophe nach dem Beben

Zwei Monate nach dem Erdbeben im Nordpakistan und Kaschmir bedeutet für die Überlebenden die Unterbringung in Flüchtlingscamps noch immer keine Rettung

MUZZAFARABAD afp/taz ■ Seit Wochen schlagen die Helfer Alarm, doch bekommen sie das Problem nicht in den Griff. Im Erdbebengebiet im Norden Pakistans steht 3,5 Millionen Obdachlosen ein lebensgefährlicher Winter bevor. Durchfallerkrankungen, Schlamm und Frost sind tägliche Begleiter. 420.000 Zelte wurden nach dem Beben vom 8. Oktober ins Land gebracht, doch die meisten sind nicht winterfest und werden mit unsicheren Methoden nur behelfsmäßig beheizt.

„Das Erdbeben haben wir überlebt, aber wir wissen nicht, ob wir auch den Winter überleben werden“, sagt Abdul Rehman, der mit zwei Söhnen und acht Töchtern in einem solchen Notzelt campiert. Sie sind zwischen den Trümmern der ehemaligen Universität von Muzaffarabad untergebracht. Als „schieres Elend“ betrachtet der ehemalige Obsthändler diese Lebensweise. „Jetzt sitzen wir hier in diesem Lager und beten zu Gott, dass er uns hilft.“ Für die Männer und Jungen des Lagers beginnt jeder Tag mit der Suche nach etwas Essbarem. Stundenlang stehen sie bei der Essensausgabe an, bevor ihnen ein wenig Brot ausgehändigt wird.

Die Hygiene ist trotz der Bemühungen der Hilfsorganisationen eines der größten Probleme. Im November breitete sich in dem Lager auf dem Gelände der früheren Universität eine Durchfallepidemie aus. Hunderte Menschen erkrankten. Bis zu 50 Menschen müssen sich eine Toilette teilen. Solche Bedingungen führen dazu, dass sich Krankheiten rasch ausbreiten. Auch der Müll türmt sich in den Camps von Muzafarrabad mit ihren 45.000 Bewohnern.

Viele von ihnen haben seit zwei Monaten nicht geduscht, in den Flüssen ist das Wasser zu kalt. „Die hygienische Situation ist wirklich beklagenswert“, räumt ein UN-Mitarbeiter ein. „Sauberes Wasser ist jetzt unsere oberste Priorität.“ Plumpsklos wurden gebaut und Wassertanks in die Lager gebracht. Doch der einbrechende Winter treibt immer mehr Flüchtlinge aus den Bergen hinunter in die überfüllten behelfsmäßigen Lager.

Auch die Versorgung mit Lebensmitteln scheint nicht auf Dauer gesichert. „Erst haben wir zweimal täglich etwas zu essen bekommen, aber an den beiden letzten Tagen haben sie uns abends nur Reis gegeben“, klagt Mohammed Yaqub, ein Vater von acht Kindern. Zehntausend Reispackungen verteilen die Helfer des Lagerverwalters täglich. „Die Leute sind traumatisiert, aber wir geben unser Bestes, um ihnen zu helfen.“ Etwa 74.000 Menschen kamen bei dem Beben ums Leben, Zehntausende bleiben in diesen Tagen vom Tod durch Erfrieren bedroht.

Ein Hoffnungsschimmer ist die Öffnung der Waffenstillstandslinie im geteilten Kaschmir zwischen den verfeindeten Nachbarn Indien und Pakistan an inzwischen fünf Orten. Noch ist diese Öffnung eher symbolisch. Denn meist sind die Grenzen dort nur für einen Tag geöffnet gewesen und zunächst auch nur in eine Richtung. Internationale Hilfsgüter von der indischen Seite werden weiterhin nicht in größerem Ausmaß nach Pakistan gelassen. Doch ein Anfang ist gemacht. „Diese Grenze schmilzt. Das ist genial. Brüder sehen ihre Brüder,“ sagt Imtiaz Ahmed, der als Träger am Übergang Tithwal arbeitet. NR