„Beim BND herrschte völliger Wildwuchs“

Der Bundesnachrichtendienst hat jahrelang den Publizisten Erich Schmidt-Eenboom überwacht. Doch fast alle Dokumente über diese illegale Aktion sind heute verschwunden. Warum? Ein Interview mit Erich Schmidt-Eenboom

taz: Herr Schmidt-Eenboom, seit wann wissen Sie, dass Sie vom Bundesnachrichtendienst überwacht wurden?

Erich Schmidt-Eenboom: Im Kern weiß ich seit Mai 2005 davon. Ein damals tatbeteiligter Observant hat sich bei mir gemeldet.

Ist es nicht etwas ungewöhnlich, dass sich ein BND-Mitarbeiter, der Sie überwacht hat, bei Ihnen outet?

Dass sich bei mir ehemalige und aktive Mitarbeiter des BND melden, um Missstände aufzudecken oder politische Stoßrichtungen des Dienstes zu diskutieren – das ist nicht ungewöhnlich, sonst könnte man in diesem Gewerbe auch gar nicht arbeiten. Ungewöhnlich ist aber schon, dass jemand, der kriminelle Handlungen im BND vollzogen hat, sich dann bei mir offenbart.

Sie haben mit dem jetzt ins Innenministerium berufenen BND-Präsidenten August Hanning gesprochen. Hat er Ihnen erklärt, was warum passiert ist?

Es war ein sehr ausführliches, offenes Gespräch, an dem auch ein großer Stab, vom Sicherheitschef bis zum Sonderermittler, teilgenommen hat. Und die haben alle Details der gegen mich gerichteten Operation „Emporio“ offen gelegt, soweit sie für den BND nachvollziehbar sind. Das heißt, der BND selbst hat nur Aktenschnipsel und ein einziges Erkundungsvideo. Das meiste Material ist verschwunden.

Ist Ihre Überwachung von der Behördenspitze angeordnet worden, oder hat sich da eine Sicherheitsabteilung im BND selbstständig gemacht?

Der ehemalige Präsident des BND, Konrad Porzner, hat nach juristischer Prüfung entschieden, dass die Observationskommandos den Zutrittsbereich zu meinem Institut filmen dürfen. Er hat aber zugleich verboten, dass ich als Person observiert werde. Er hat dann allerdings niemals eine Dienstaufsicht walten lassen. Wenn er das getan hätte, hätte er festgestellt, dass die Grenzen weit ins Kriminelle hinein überschritten wurden.

Als Publizist beschäftigen Sie sich intensiv mit den Skandalen des BND. Hat die Überwachung Ihrer Arbeit geschadet?

Die Überwachung war nach Auskunft des BND ohne Ergebnis. Deshalb ist sie abgebrochen worden und nicht, weil sie rechtswidrig war. Wenn man wie ich Bücher über den BND schreibt, dann hat man Zulauf von Dissidenten aus dem BND. Aber keiner dieser Informanten ist enttarnt worden – insofern kann ich keinen großen Einfluss auf meine Arbeit sehen. Schließlich musste ich mich auf Wunsch meiner Kontaktpartner außerordentlich konspirativ verhalten. Etwas anderes ist aber die Postkontrolle. Der BND hat über zehn Jahre hinweg jeden Schnipsel, jedes Stück Altpapier aus dem Müll meines Instituts gepickt und analysiert. Damit hat er natürlich einen genauen Einblick in meinen Postverkehr und in das Netz von Personen, mit dem ich arbeite. Was der BND mit diesen Informationen gemacht hat, kann ich aber nicht beurteilen.

Besucher Ihres Instituts sind wohl auch ins Visier des Geheimdienstes geraten.

Mir wurde erklärt, in zwei Fällen sei nachzuvollziehen, dass Observationskommandos des BND Besuchern meines Instituts gefolgt sind. Das war einmal ein Wissenschaftler, der in Pullach besondere Sorge auslöste, weil er mit einem ehemaligen BND-Residenten gut befreundet war. Zum Zweiten war das ein früherer Redakteur des Fernsehmagazin „Monitor“, den hat man bis in ein Hotel verfolgt – um dann festzustellen, dass man wieder keinen Mitarbeiter des BND enttarnt hat. In welchem Umfang andere Besucher ausgespäht wurden, das ist mir und dem BND nicht bekannt, weil die meisten Akten dem BND offensichtlich entwendet worden sind.

Ist es nicht schwer nachzuvollziehen, dass der BND seine eigene Arbeit nicht mehr rekonstruieren kann?

Auch da hat der BND-Präsident sehr offen geredet und schuldbewusst die verantwortlichen Strukturen benannt. Da hat eine außerhalb der Zentrale in München angesiedelte Außenstelle ohne jede Dienstaufsicht gearbeitet. Es gab keine ordnungsgemäße Aktenführung, keine Tagebuchnummern, keine vernünftige Registratur. Es herrschte ein völliger Wildwuchs. Das ging so weit, dass der verstorbene Leiter dieser Dienststelle dem Observationskommando erlaubte, das Material kistenweise zu privatisieren. Die Akten sind einfach abgängig, weil Mitarbeiter des BND sie mit nach Hause genommen haben. Was der BND heute weiß, stammt aus Befragungen von Tatbeteiligten.

Sie sind ja nicht als einziger Journalist vom BND überwacht worden. Bemerkenswert ist, dass es darunter Fälle gibt, in denen die Überwachten zuvor dem BND als Quellen gedient haben sollen. Sehen Sie darin eine Grenzüberschreitung?

Allerdings. Es geht ja hier nicht um journalistische Kooperation, es handelt sich um richtige Spionage. Sehen Sie nur den Fall des Journalisten Wilhelm Dietl. Der hat von Anfang der 80er-Jahre bis mindestens 1993 als operativer Beschaffer für den BND gearbeitet. Anschließend hat er wohl bis 1997 der BND-Sicherheitsabteilung zugearbeitet und für diese seine Kolleginnen und Kollegen ausspioniert. Wer sich solchermaßen verstrickt hat und über viele Jahre Angehöriger des BND war, der darf sich über nachfolgende Observationen weder wundern noch beschweren.

Welche Schlüsse müssen aus diesem Skandal gezogen werden?

Wie mir BND-Präsident Hanning erklärt hat, sind innerhalb des BND Konsequenzen gezogen worden: Die Außenstellen werden intensiver kontrolliert, die Vorgänge werden juristisch geprüft. Aber über die Eigensicherung des BND hinaus sind natürlich die Politik und der Gesetzgeber aufgerufen, eine Wiederholungsgefahr auszuschließen.

INTERVIEW: WOLFGANG GAST