Nehmt Abschied, Leser, gute Nacht!

Reclam Leipzig macht zu. Er war einer der wenigen Ostverlage, der die Wende überlebte – zuletzt allerdings nur noch mit vier Angestellten

Da ist es wieder, das Ostgefühl des Abbruchs, des Niedergangs vom Beginn der Neunzigerjahre. Das Unwort der „Abwicklung“ taucht aus der kaum archivierten Geschichte ebenso wieder auf wie die Erinnerung an die Lagerbestände der mehr als 80 DDR-Verlage, die nach der Wende größtenteils auf Müllkippen landeten. Der widerwillige Abschied, das finale Grummeln ohne halbwegs begründbare Hoffnung auf Alternativen.

Reclam Leipzig wird geschlossen, vier Mitarbeiter hatte die Filiale des Stuttgarter Mutterhauses an ihrem früheren Stammsitz zuletzt noch. Perspektivisch hätten mittel- und langfristige Überlegungen gegen die „fortgesetzte, wirtschaftlich unvernünftige Alimentierung einer Firmentochter“ gesprochen, so der Geschäftsführer Frank R. Max, „die es in 15 Jahren nicht geschafft hat, sich als eigene Marke auf dem Markt zu etablieren“. Da soll man im Kniefall vor den Gesetzen des Markts nicht traurig sein dürfen?

Die ins Bräunliche nachgedunkelten Buchrücken der Universalbibliothek gucken plötzlich so nostalgisch aus dem Regal und mahnen an die Zeit, als der Student für zwei fuffzich Ost seine erste Bibliothek zusammenkaufte. Ähnlich, wie es die Zeitgenossen heute mit den gelben Büchlein aus Stuttgart tun. Dann kam die Wende, aber mit ihr auch das Ende der Selbstständigkeit namentlich der Leipziger Verlage Reclam, Insel, Peters, Brockhaus oder Bibliographisches Institut. Wie in der Industrie auch wurden aus Stammsitzen bestenfalls verlängerte Werkbänke. Für Insel, Kiepenheuer und nun auch Reclam kam später das endgültige Aus.

Reclam Leipzig immerhin, 1992 von der Treuhand zurückgekauft, versuchte sich jenseits der nach Stuttgart gezogenen Universalbibliothek neu zu profilieren. Das Taschenbuch lief zunächst gut. Unter Chef Rainer Moritz wurden in der zweiten Hälfte der Neunzigerjahre auch einige taz-Autoren hier verlegt, deren bekanntester Wiglaf Droste sein mag.

Dann kam die Krise des Taschenbuchs, das Problem als Kleiner gegen die Giganten zu überleben und noch Lizenzen zu bekommen. Und das seit 2000 aufgebaute Hardcover-Programm hätte Zeit und Nachdruck gebraucht – an dem es, so ist in aller Vorsicht aus dem Verlag zu hören, seitens des Mutterhauses mangelte. Zumal es in Leipzig meist um Zeitgenossen ging, während Stuttgart weitgehend von der Backlist lebt. Alles wird an Bestsellern gemessen. Die hatte man beispielsweise mit „Schlafes Bruder“ von Robert Schneider in Leipzig auch, und Claudia Schreibers „Emmas Glück“ wird jetzt verfilmt.

177 Jahre Verlagstradition aber zählen am Markt ebenso wenig wie emotionale Bindungen aus der DDR-Zeit. Bei Leipziger Buchhändlern und Literaten ist von einem „Imageschaden“ die Rede. Leipzig ist mit dem Bücherfrühling und der Buchmesse wohl die lebendigste deutsche Vorlesestadt. Hinsichtllich seiner Verlagslandschaft aber erscheint die frühere deutsche Buchstadt Nummer eins nur noch als ein Dorf, wie Elmar Faber vom Verlag Faber & Faber bitter kommentierte. MICHAEL BARTSCH