Wie in einem Gefängnis ohne Gitter

In Karlsruhe treffen sich junge Flüchtlinge zeitgleich mit den Innenministern der Länder auf einer Gegenkonferenz. Sie wird von Betroffenen aus Berlin organisiert. Von den Politikern fordern sie ein Bleiberecht für alle Flüchtlinge

Erstmals werden jugendliche Flüchtlinge in Deutschland selbst und bundesweit politisch aktiv. Etwa 80 haben sich in der „Initiative Jugend ohne Grenzen“ (JOG) zusammengetan, um etwas an der Situation zu verändern, die sie als Diskriminierung erleben. Dreißig von ihnen leben in Berlin, wo die Initiative kürzlich ins Leben gerufen wurde. Noch bis heute findet in Karlsruhe eine Jugendkonferenz statt, organisiert von Betroffenen aus Berlin und Umland, die bereits in der Bleiberecht-Kampagne „Hier geblieben!“ mitwirkten.

„Geduldete Jugendliche dürfen nach dem Schulabschluss keine Ausbildung machen oder studieren. Sie fragen sich, warum sie überhaupt zur Schule gegangen sind. Viele fühlen sich wie in einem Gefängnis ohne Gitter“, beschreibt Ibrahim Delen (20) vom Berliner Beratungs- und Betreuungszentrum für Flüchtlingsjugendliche (BBZ) den Teufelskreis, in dem sich junge Migranten ohne feste Aufenthaltserlaubnis befinden. Zudem sind sie ständig von Abschiebung bedroht und dürfen wegen der Residenzpflicht ihren Wohnort nicht verlassen.

Die Jugendlichen engagieren sich in der BBZ-Flüchtlingsgruppe, im Jugendclub des Grips-Theaters oder der Flüchtlingsinitiative Brandenburg.

Ihre Tagung läuft zeitgleich zur Konferenz der Innenminister. „Wir wollen auf die Menschenrechtsverletzungen aufmerksam machen, die geduldeten Migranten in Deutschland zugefügt werden“, erklärt JOG-Pressesprecherin Aysegül Yakut. Gestern übergaben sie deshalb einem Mitarbeiter im baden-württembergischen Innenministerium Briefe mit ihren Forderungen und Schals mit dem Aufdruck „Hier geblieben!“. Beides soll heute an die Innenministern weitergegeben werden.

Ihr wichtigstes Anliegen: Die Politiker sollen einer Bleiberechtsregelung für alle Flüchtlinge zustimmen. „Wirkliche Integration kann nur durch ein Bleiberecht erreicht werden“, sagt Ibrahim Delen. Ansonsten könnten die Betroffenen nicht am Berufsleben teilhaben und keine sinnvolle Lebensperspektive entwickeln. Eine zweite Kernforderung ist die vollständige Umsetzung der UN-Kinderrechte, die zu einem Wegfall der Residenzpflicht für Kinder und Jugendliche führen und das Alter für eine mögliche Abschiebung von 16 auf 18 Jahre erhöhen würde.

Abschiebehaft für Kinder

In Deutschland werden diese Rechte nur für deutsche Kinder angewendet. Die Praxis der Abschiebehaft, der auch Jugendliche ausgesetzt sind, widerspreche den UN-Kinderrechten: „Jugendliche, die ohne Eltern nach Deutschland fliehen, werden wie Erwachsene behandelt“, erzählt Aysegül Yakut. „14-Jährige kommen in Abschiebehaft. Sie müssen in Auffanglagern auf ihre Ausweisung warten. Außerhalb dieser Lager kommt es durch deren häufige Randlage kaum zu Kontakten mit Einheimischen.“

Darüber hinaus fordert die Initiative ein grundsätzliches Umdenken der Politiker. Neben einer rechtlichen Gleichstellung von Flüchtlingen geht es darum, Fluchtursachen zu bekämpfen und die Abschiebepolitik abzuschaffen. Zumindest das Bleiberecht steht in Karlsruhe auf der Agenda der Innenminister, von denen laut JOG vier bis fünf eine Bleiberechtsregelung befürworten. Für politische Änderungen müssten die Politiker allerdings einstimmig votieren.

Trotz aller Hindernisse sind von der Gegenkonferenz zwei positive Ergebnisse zu erwarten: Zum einen trägt die Konferenz zu einer besseren Vernetzung der Akteure bei. Das ist wegen der Residenzpflicht kein leichtes Unterfangen. Zum andern können sich die Jugendlichen mit eigener Stimme öffentlich Gehör verschaffen. Lutz Steinbrück

Infos unter www.hier.geblieben.net