Auf jeden Fall etwas Besonderes

Hülya Kandemir beschreibt ihren „Weg vom Popstar zu Allah“. Auf diese Weise können die LeserInnen viel lernen über die Probleme der zweiten und dritten Generation in Einwandererfamilien

Sie war eine vielversprechende Popsängerin in Deutschland. Und plötzlich trug sie Kopftuch und ließ das Showgeschäft sein. Hülya Kandemir, geboren 1975 in der Oberpfalz, hat nun ihren „Weg vom Popstar zu Allah“ aufgeschrieben. Eine Geschichte, die an Bestseller wie „Die Weiße Massai“ von Corinne Hoffman erinnert. Auch bei Hülya geht es um eine große Liebe, allerdings um die Liebe zu Gott. Die ist wahrscheinlich weniger gut zu verkaufen, dafür aber auch weniger störanfällig als die Liebe zu einem weltlichen Halbgott.

Hülya kommt aus einer türkischen Gastarbeiterfamilie in Deutschland, die mit ihren zehn Kindern und dem kränkelnden Vater schwer um ihre Existenz ringt. Eine Familie, die in der Oberpfalz einigermaßen angekommen ist. Eine Großfamilie, in der wenig Zeit und wenig Raum für den Einzelnen bleibt, dafür aber der Familienzusammenhalt umso mehr zählt. Hülya schafft ihre Selbstfindung, ihren eigenen Weg, zunächst als Musikerin und Sängerin. Das ist ein mutiger Schritt und eine ungewöhnliche Karriere für eine von den Brüdern gehütete junge türkische Frau. Doch das anfänglich aufregende Leben außerhalb der Familie mit Tourneen und vielen Freunden hat seine Untiefen.

Freiheit ist kein leichtes Lebensprogramm, vor allem, wenn man dabei von Schuldgefühlen geplagt wird. Und die sind bei Hülya genauso typisch wie bei vielen Jugendlichen der zweiten und dritten Generation, die im Elternhaus mit den traditionellen Werten aus dem muslimischen Kulturkreis konfrontiert werden und außer Haus mit einem liberalen und freizügigen Lebensstil. Da tut sich schnell eine Leere auf, verstärkt durch innere Zerrissenheit und Schuldgefühle. Diesen Konflikt scheint Hülya – wie viele andere auch – durch eine Rückwendung zu alten, vertrauten Werten zu lösen. So fühlt man sich auf der sicheren Seite und protestiert gleichzeitig gegen die Zumutungen der Moderne.

Hülya bekennt sich zu Gott und damit letztlich zu den Werten ihrer Eltern. Sie betet immer zur vorgeschriebenen Zeit, überall, und trägt das Kopftuch. Dass sie die Vorschriften rigoroser befolgt, als es die Eltern je taten, ist kennzeichnend für eine Konvertitin, die sich immer wieder selbst von der Richtigkeit ihres Weges überzeugen muss. Hülya trägt in ihrem Buch eine naiv-kindliche Gläubigkeit zur Schau – und redet damit auch ihre Familiengeschichte schön. Ihre Selbstbesinnung ist regressiv, ein „Endlich daheim“ ohne Schuldgefühle und Zerrissenheit.

Mit der Wandlung vom Popstar zu Allah erregt sie Aufmerksamkeit. Das Gefühl, etwas Besonderes zu sein, hat sie schon einmal in ihrer Kindheit erlebt, als sie zum Kopftuch griff: „Obwohl meine Mutter mir davon abriet, trug ich in der Grundschule für einige Zeit ein Kopftuch. […] Plötzlich stand ich im Mittelpunkt, wurde von einigen Kindern befragt, was jetzt mit mir los sei. Ich konnte es nicht genau erklären, aber ich fand Gefallen an der Idee, etwas Besonderes zu sein.“ Das ist ihr auch jetzt wieder gelungen. Hülya tingelt durch die Talkshows. Und ihr demonstratives Bekenntnis zur göttliche Autorität wäscht sie auch rein von allen Verstößen gegen väterliche Werte, die sie in ihrem früheren Leben bedrückten.

Literarisch betrachtet ist das Buch eine schlecht geschriebene Biografie, aber es zeigt beispielhaft, warum gerade in der zweiten und dritten Generation von Einwanderern hierzulande oft eine kompromisslose Rückbesinnung auf die Tradition der Herkunftsgesellschaft stattfindet. EDITH KRESTA

Hülya Kandemir: „Himmelstochter. Mein Weg vom Popstar zu Allah“. Pendo Verlag, Zürich 2005, 350 Seiten, 18,90 Euro