Weiterstricken am freien Textilhandel

Die Liberalisierung des Textilmarktes hat bislang 150.000 Menschen den Job gekostet. Die Preisvorteile nützen aber vor allem den Händlern. Dennoch sollen die Zölle weiter sinken. Die Entwicklungsländer sind jedoch dagegen

BERLIN taz ■ Wer sich gleich zu Anfang des Jahres mit Unterhosen und T-Shirts eingedeckt hat, hat viel gespart: Ungehemmt konnten Läden damals ihre Wühltische mit Billigware aus China bestücken. Ein paar Monate später war dann aber Schluss damit. Ganz entgegen ihrer permanenten Freihandelsrhetorik setzten EU und USA erneut Quoten für China durch; die selbst produzierte Hose war ihnen doch näher als der sonst wo hergestellte Rock. Doch kommende Woche werden die Industrieländer bei den WTO-Verhandlungen erneut das Hohelied der Liberalisierung anstimmen und allgemeine Zollsenkungen fordern.

Dabei geht es im Paket der „nichtagrarischen Handelsprodukte“ auch um Textilien. Mehrere Entwicklungsländer haben angekündigt, dass sie diesen Marktteil komplett aus den Verhandlungen ausklammern möchten. Bevor sie hier neue Abkommen unterschreiben, wollen sie erst einmal recherchieren, wie sich die internationalen Beschlüsse der vergangenen Jahre konkret ausgewirkt haben.

Tatsächlich hat niemand einen genauen Überblick, was das Auslaufen des Welttextilabkommens zu Beginn des Jahres für die vormals 24 Millionen ArbeiterInnen in den Fabriken bedeutete. Die Türkei legte im Sommer einen Bericht vor, der die weltweiten „Liberalisierungsgewinne“ in Zweifel zieht und die WTO auffordert, die Fakten zu untersuchen. China bezeichnete die türkische Position als „lächerlich und unfair“ – und letztendlich wurde die Angelegenheit erst einmal vertagt. Die Internationale Arbeitsorganisation ILO schätzt, dass 150.000 Menschen entlassen wurden. Allein in Südafrika flogen 50.000 Leute raus, in Kenia wurden zwölf Fabriken geschlossen und in Lesotho elf.

Auch eine weitere Verschlechterung der Arbeitsbedingungen kann das Südwind-Institut nachweisen, das sich für anständige Produktionsbedingungen in der Textilindustrie einsetzt. So hat die Regierung in Bangladesch zeitweise die 72-Stunden-Woche eingeführt und auf den Philippinen wurde der gesetzliche Mindestlohn gestrichen.

Wie viele Jobs im Gegenzug insbesondere in China und Indien entstanden sind, ist unbekannt. Klar ist nur, dass die erneute Einführung von Quoten die Verlagerung von Jobs nach China zunächst gebremst hat. Erst nach 2008, wenn USA und EU alle Beschränkungen wieder aufheben wollen, wird der weltweite Strukturwandel abgeschlossen sein.

Auch für die deutschen Verbraucher ist die Lage unübersichtlich. Für die Herbstkollektionen und warme Winterklamotten müssen sie in diesem Jahr im Schnitt genauso viel ausgeben wie im Vorjahr, obwohl die Erzeugerpreise im ersten Halbjahr deutlich abgesackt waren. „Der Vorteil ist aber bei den Beschaffern hängen geblieben“, sagt Jörgen Dax, Geschäftsführer des Bundesverbands des Deutschen Textileinzelhandels. Er geht außerdem davon aus, dass tatsächlich viel mehr Waren aus China nach Deutschland kommen, als die Quote zulässt. Pullis, in deren Kragen Hongkong oder Singapur steht, wurden wahrscheinlich von chinesischen Arbeiterinnen gestrickt. ANNETTE JENSEN