Durchkommen ist Glückssache

Bis zum Anschlag gestraffte Studiengänge, unklare Perspektiven für AbsolventInnen – der Frust an der Freien Universität ist groß. Wie sieht das konkret für Lehramtsstudierende aus? Drei Protokolle

GESINE HEINRICH (20) studiert Englisch und Biologie: „Ich dachte, ich wüsste, worauf ich mich beim Bachelor einlasse. Dass die straffe Studienstruktur einiges abverlangen würde, war mir klar. Da habe ich mir keine Illusionen gemacht – dachte ich bis vor zwei Monaten. So lange bin ich nun an der Uni.

Wenn mich heute jemand fragt: Eigentlich hat der Bachelor im Lehramtsstudium nichts zu suchen. Was ich mit dem Bachelor lerne, qualifiziert mich für keinen Beruf: Er reicht nicht für das Schulreferendariat. Und in der freien Wirtschaft gibt es keinen Job, der meine Fächerkombination erfordern würde.

Alles halb so schlimm – wenn denn stimmte, was in Aussicht stand: dass man nachher den Master aufsatteln kann. Leider gibt es diesen Master-Studiengang noch gar nicht – und wie er konzipiert sein wird, darüber schweigt die Uni-Leitung. Erst recht erfährt man nichts darüber, wer ihn dann überhaupt studieren darf: alle Bachelor-Studenten oder – wie in anderen Fächern – nur die besten? Ich finde, es ist ein Unding, dass man zu Beginn des Lehramtsstudiums nicht weiß, ob man hinterher überhaupt Lehrer werden kann. ‚Kombinationsbachelor mit Lehramtsoption‘ heißt es so schön. Nur ist die ‚Option‘ unklar. Ich sehe es schon kommen: Am Ende stehen wir mit unserem Bachelor allein da.

Inhaltliche Tiefe, individuelle Lernschwerpunkte? Dafür hat der Bachelorstudent keine Zeit. Mich erschreckt die Struktur der Uni: Alles muss effizient sein. Das zeigte sich doch auch im Streik: Viele der Studierenden haben schlicht Angst, etwas von ihren Lehrveranstaltungen zu verpassen und streiken deshalb nicht mit. Die Anforderungen sind so hoch, dass sie nur noch formal erfüllt werden können. Wenn ich nach zehn Uni-Stunden nach Hause komme, kriege ich einfach nichts mehr in meinen Kopf. Müsste ich aber.

Dafür bin ich oft erschöpft, meine Beziehung leidet, und meine Freizeit habe ich weitestgehend aufgegeben. Nur: Was soll das nützen, wenn wir statt Qualität nur Quantität abliefern? Bei den Gesprächen, die wir mit der Uni-Leitung führen, ernten wir zwar Verständnis, aber verlässliche Lösungen kommen dabei nicht rum.“ MK

JESSICA HANS (20) studiert Biologie und Chemie: „Am Anfang waren wir noch neun Erstsemester, die meine Kombination studiert haben: Bio und Chemie auf Lehramt. Jetzt sind wir noch vier. Über die Hälfte hat die ersten zwei Monate nicht durchgestanden. Das sagt doch schon alles. Ich habe zurzeit 47 Semesterwochenstunden. Das entspricht dem ganz normalen Studienverlaufsplan und bedeutet, dass ich zwölf Stunden am Tag unterwegs bin.

Bis auf zwei Veranstaltungen wird überall streng die Anwesenheit kontrolliert. Das ist wie in der Schule, wo man über seine Tagesplanung ja auch nicht selber entscheiden durfte. Bisher ging es immer irgendwie. Gut: Ich hatte nie Schwierigkeiten mit Bio oder Chemie. Außerdem komme ich aus Berlin und hatte zuvor schon zwei Semester Medizin studiert. Das heißt, ich kenne die Hierarchien und Strukturen, ich weiß, an wen ich mich wenden kann. Gegenüber anderen ist mein Vorbereitungsaufwand relativ gering. Trotzdem sitze ich jeden Abend drei Stunden zu Hause und bearbeite meine Übungszettel. Dieser ganz normale Workload hat natürlich Folgen: Man bereitet sich während den Veranstaltungen schon auf die nächsten Seminare vor und lernt nur noch von Klausur zu Klausur.

Ursache ist die fehlende Abstimmung zwischen den Fachbereichen und die Blindheit der Universitätsleitung: Obwohl ich Chemie nur als Nebenfach studiere, habe ich nur eine Veranstaltung pro Semester weniger als diejenigen, die Chemie als Hauptfach studieren. Und das vier Semester lang. Dafür gibt es dann im fünften Semester nur eine einzige Veranstaltung. Das soll mir mal jemand erklären.

Dass ich jetzt noch damit klar komme, ist reine Glückssache. Aber wenn ich mir vorstelle, dass ich die nächsten drei Jahre von morgens um acht bis abends um zehn nur lerne und sonst nichts tue, wird mir schon mulmig. Das hält niemand durch, zumindest nicht, ohne sich oder sein Leben neben der Uni aufzugeben. Das beginnt mit ganz einfachen Dingen: Ich schaffe es nicht, zu den Geburtstagen meiner Freunde zu gehen. Und zum Einkaufen renne ich am Sonntag in den Bahnhofs-Supermarkt. Übrigens: Wenn ich mein Studium nicht selbst finanzieren könnte, hätte ich sogar größte Schwierigkeiten, die Sprechzeiten im Bafög-Amt wahrzunehmen.

Ich kann mich also entscheiden: zwischen sozialer Isolation oder schlechten Noten. Und es kann doch irgendwie nicht Ziel der Universität sein, wenn ich als zukünftige Lehrerin systematisch auf Lücke lernen muss, um es überhaupt irgendwie hinzukriegen. Wenn schlecht ausgebildete Lehrer in die Schule gehen – wie soll dann zukünftig Pisa aussehen? Ehrlich gesagt: Ich glaube, mit ihrer Politik bewegt sich die FU auf einem sehr schmalen Grat.“ MK

MICHAEL FLEISCHER (26) studiert Sozialkunde und Physik: „Nachdem ich im zweiten Bildungsweg Abi gemacht hatte, wollte ich Lehrer werden. Wegen der Wartesemester bekam ich mein Erstfach wunschgemäß: Sozialkunde. Aber im Zweitfach zählen keine Wartesemester, sondern nur der NC. Wer den nicht knackt, bekommt ein Fach zugeteilt. Bei mir war es Physik.

Jetzt studiere ich also Sozialkunde und Physik. Das heißt: Ich würde es gern studieren. Es geht aber nicht. Denn die Physiker am Fachbereich sagen: Physik lässt sich nur gemeinsam mit Mathematik studieren. Die mathematischen Grundlagen der Physik sind im Physikstudium aber nicht vorgesehen. Mir wurde also gleich unmissverständlich mitgeteilt, dass ich mit dem Physikstudium gar nicht anfangen bräuchte. Ich solle erst mal ein Semester Mathe studieren. Nur bekomme ich die Mathematik-Veranstaltungen nicht anerkannt. Wie auch? Sie stehen ja nicht in der Physik-Studienordnung. Schade, dass das bei der Zwangszuweisung von Fächern nicht berücksichtigt wurde. Eigentlich müsste ich – neben den Pädagogikseminaren – drei Fächer studieren: Sozialkunde, Mathe und Physik.

Wenn ich nun in diesem Semester die Mathe-Grundlagen studiere, müsste ich wegen der engen Zeitpläne im nächsten Semester den Inhalt von zwei Semestern Physik bewältigen. Völlig unmöglich. Dennoch wäre nach der Maluspunkte-Regelung die Zwangsexmatrikulation abzusehen. Die wurde ja dank des Streiks zurückgenommen, aber nur vorläufig. Weil Physik mit Sozialkunde also nicht studierbar ist, muss ich auf ein neues Nebenfach hoffen. Das wird natürlich wieder über den NC zugeteilt. Und auch erst im nächsten Wintersemester. Dann könnte die Uni befinden, dass der Leistungsunterschied zum Erstfach zu groß ist und mich auch exmatrikulieren. Ein ganzes Jahr habe aber in jedem Fall verloren.

Nur am Rande: Ich habe einen drei Monate alten Sohn. Meine Frau macht ihr Abitur nach. Studieren kann ich nur, weil sie Einschnitte macht. Schlimm genug. Aber unsere Perspektive ist jetzt völlig unklar. Als ich im Immatrikulationsamt nach Härtefallregelungen fragte, war die Antwort eindeutig: Kopfschütteln.“ MK