Tödliche Methoden

Pharma-Konzern Merck soll letale Nebenwirkungen von Vioxx verschwiegen haben

VON WOLFGANG LÖHR

In dem Arzneimittelskandal um das vom Markt genommene Rheumamedikament Vioxx gerät der US-Pharmakonzern Merck zunehmend unter Druck. Das Pharmaunternehmen habe schon vor Jahren gewusst, dass das Medikament Vioxx tödliche Nebenwirkungen haben kann, berichtet das Fachmagazin New England Journal of Medicine (NEJM) in einem im Internet vorab veröffentlichten Beitrag.

In einer in dem Fachmagazin vor fünf Jahren publizierten und von Merck finanzierten Studie seien drei Herzinfarkte von Vioxx-Patienten nicht erwähnt worden, obwohl die Autoren Kenntnis davon gehabt hätten. Ohne diese Datenmanipulationen wäre das Mittel wahrscheinlich in vielen Ländern erst gar nicht auf den Markt gekommen.

Vioxx gehörte jahrelang zu den Umsatzrennern bei Merck. Mehr als 20 Millionen Patienten in 80 Staaten haben das Rheumamittel eingenommen, bis es dann Ende September 2004 wegen gravierender Nebenwirkungen überraschend vom Markt genommen wurde. Das Medikament soll für den Tod zahlreicher Patienten verantwortlich sein.

„Bis vor kurzem gingen wir noch davon aus, dass die drei Autoren der im Sommer 2000 veröffentlichten Studie von den drei Herzinfarkt-Patienten nichts wussten“, berichtet der NEJM-Chefredakteur Gregory Curfman in seinem Beitrag. Vor wenigen Tagen wurde er eines Besseren belehrt. Ihm wurde ein Memorandum zugespielt, aus dem hervorging, dass zwei der drei Autoren, die die von Merck finanzierte VIGOR-Studie durchführten, über die drei Herzinfarkt-Patienten Bescheid wussten.

Aus dem zugespielten Material geht laut NEJM-Bericht hervor, dass nur kurz bevor die Daten bei dem medizinischen Fachblatt zur Veröffentlichung eingereicht wurden, sie wieder aus der Studie verschwanden. Auch andere Daten, die ein erhöhtes Nebenwirkungsrisiko zeigen, seien, so Curfman, „zwei Tage vor Einreichen wieder entfernt worden“.

Erste Hinweise auf die drei Herzinfarktpatienten gab es schon, als die US-amerikanische Arzneimittelbehörde vor längerer Zeit Berichte über die Nebenwirkungen von Vioxx veröffentlichte. Die NEJM-Redaktion ging seinerzeit jedoch nicht davon aus, dass die VIGOR-Autoren die Vioxx-Daten bewusst verschönt hätten. Sollte sich bestätigen, dass die Daten der VIGOR-Studie vorsätzlich manipuliert und gefälscht wurden, damit Vioxx als effektives und nebenwirkungsarmes Medikament auf dem Markt bleibt oder überhaupt erst eine Zulassung erhält, wären die Verantwortlichen mitschuldig an den zahlreichen Todesfällen.

Merck streitet die Vorwürfe vehement ab. Der Pharmakonzern weist darauf hin, dass er seinen Blockbuster sofort und freiwillig vom Markt genommen habe, nachdem neuere Studien zeigten, dass Vioxx bei längerer Einnahme das Risiko für Herz- und Schlaganfälle verdoppele.

Hochrechnungen auf Grundlage der verkauften Medikamente gehen davon aus, dass zwischen 1999 und 2003 allein in den USA rund 27.000 Herzattacken und auch Herztode vermutlich hätten verhindert werden können, wenn die Patienten anstatt Vioxx ein anderes Medikament eingenommen hätten.

Für Deutschland führte Peter Sawicki, der Leiter des neuen Instituts für Qualität im Gesundheitswesen, diese Hochrechnung durch. Er schätzt, dass Vioxx hierzulande bei bis zu 2.700 Patienten zu Schlaganfällen, Thrombosen und Herzinfarkten geführt habe.

Für Merck könnte der Vioxx-Skandal teuer werden. Schon unmittelbar nachdem das Medikament im September 2004 zurückgezogen wurde, reagierte der Markt drastisch: Um fast 30 Prozent sackte der Aktienkurs von Merck zusammen. Seitdem sind mehr als 4.100 Schadenersatzklagen bei US-Gerichten eingereicht worden. Aus Deutschland werden etwa 800 Klagen erwartet. Zwei Urteile sind bisher gefällt worden: Der eine ging zugunsten von Merck aus. In dem anderen wurde der Pharmakonzern zu einer Strafe von insgesamt 209 Millionen Euro verurteilt. Der Pharmakonzern hatte dagegen jedoch Berufung eingelegt. Nach Schätzungen könnte im ungünstigsten Fall auf den Pharmakonzern Schadenersatz in Höhe von bis zu 30 Milliarden Dollar zukommen.