Pornos quietschen

Das ist doch alles Entfremdung, da ist doch kein Gefühl mehr drin! Der neue Antineoliberalismustheaterabend von René Pollesch im Berliner Prater

VON ESTHER SLEVOGT

Es blinken weihnachtliche Lichterkränze. Man sieht ein folienverhängtes Badezimmer, das wahrscheinlich auf seine Renovierung durch einen heimwerkenden Familienvater wartet. Daneben ein Wohnzimmer mit Liegelandschaft. Die Bühne zitiert geschmacklosen Semiwohlstand trüber Mittelstandswelten. Blickfang ist ein Panoramafenster in der Mitte. Dahinter liegt eine Art Straße einer Neubausiedlung, markiert durch eine Neubautür mit Messingknauf. Schließlich geht es um das thematisch weit gefasste Spielzeitmotto „Heterosexualität, Repräsentation, Mittelstand … und alles, was sonst noch nicht als Problem markiert ist“. Also um Theater, das sich bekanntlich ganz gern mit dem Markieren von Problemen befasst.

Als dritte Ebene bietet diese Bühne (entworfen von Bert Neumann) eine Leinwand, auf die gelegentlich das Bühnengeschehen projiziert wird, life gefilmt. Es gibt aber auch kurze, vorfabrizierte Videosplitter. Schließlich sind wir im Prater, sozusagen dem Kammerspielort der Berliner Volksbühne. Und dort kommt man schon lange nicht mehr ohne Videoprojektionen aus, um die komplexe Problematik des modernen Individuums darzustellen. Dessen Identität, muss man nämlich wissen, hat durch die allgegenwärtige Präsenz des Marktes und der daraus resultierenden Entfremdung heftigen Schaden genommen.

René Pollesch, mit dessen neuem Stück „Notti Senza Cuore – Life is the new hard“ wir es hier zu tun haben, handelt die Folgen dieser Entfremdung an einem Trio aus zwei Frauen und einem Mann ab. Alle drei sind von herzzerreißend virtuoser Dämlichkeit. Außerdem sind sie eine Spur zu schrill für das spießige Ambiente. Ihr leiernder Tonfall ist von keinem Reflexionsschimmer getrübt, was Polleschs komplex gedachten Sätzen eine besondere Komik gibt. Verhandelt werden Fragen wie diese: „Warum guckt der Pornodarsteller immer in die Kamera? Er fickt doch wirklich!“

Und damit sind wir schon mittendrin im Problemkreis von Polleschs Dramatik, in der es stets um die Frage geht, wo in unserer neoliberalen Welt überhaupt noch das echte Leben zu finden ist. Beispiel Porno. Ist das echte Leben jetzt der Sex selbst oder die Tatsache, dass ein Film darüber gedreht wird? Oder ist das echte Leben am Ende sogar der Film selbst? Angesicht dieser hübschen Komplikationen kommen Polleschs Figuren schnell ins Schleudern. Und dieses Schleudern ist sozusagen Polleschs Plot. Um den Theatereffekt seiner Figuren zu erhöhen, stattet er sie mit so wenig Intelligenz wie möglich aus.

Damit aber wird echtes Nachdenken über die Zusammenhänge von Markt und Identität eigentlich fast unmöglich. Deshalb gibt es am Ende auch keine Erkenntnis. Bernhard Schütz schenkt zwecks kollektiver Dröhnung am Ende auch an die Zuschauer Wodka aus, die so ins heitere Bühnengeschehen integriert werden. Die Veranstaltung wird eingerahmt von Gianna Nannini pseudoauthentisch celentanomäßigem Geröhre ihres Late-Nineties-Hit „Notti Senza Cuore“, mit dem die emotionale Marschrichtung des Abends vorgegeben ist.

„Das ist doch alles Entfremdung!“, nölt Mira Partecke schon früh, ein lispelndes Blondchen mit Highheels, gepunktetem Klein und Pelzjäckchen drüber. „Da ist kein Gefühl mehr drin!“, sagt sie im Laufe des Abends über diverse Körperteile. Als sich am Ende der tapsige Bernhard Schütz auf sie legt, quietscht sie wie eine Gummiente. In diesem Körper ist wirklich kein Gefühl mehr drin, nur noch ein paar alte Reflexe.

Astrid Meyerfeld trumpft gelegentlich mit ein paar Funken altmodischer Restintelligenz auf und fragt dann zum Beispiel, ob es nicht einen emotionalen Gewinn aus der Entfremdung gibt. So dreht sich die Spirale in Polleschs neoliberaler Screwball-Comedy immer weiter. Schließlich kommt sie bei Fragen der Darstellung an: Gibt es überhaupt richtiges Theater im falschen? Zur Problemverdeutlichung kommt an dieser Stelle die Leinwand mit einer elliptisch immer wieder variierten Szene zum Einsatz, die sich über den Pseudorealismus deutscher Fernsehkrimis lustig macht.

Die Reflexionen zur Darstellungsindustrie, die Pollesch auch schon in Teil eins seiner diesjährigen Praterserie „Cappuccetto Rosso“ beschäftigt haben, führen auch zur rührend naiven Frage, warum eigentlich Schauspieler den Satz „Ich liebe dich“ immer so komisch aussprechen würden. Aber wie es das Screwball-Genre will, entfernen sich die Darsteller immer weiter von der Lösung ihrer Probleme, je hysterischer sie mit ihrer Lösung beschäftigt sind. Aber weil dies natürlich ausgesprochen komisch ist, kann der Abend zumindest die Lösung für eine seiner Fragestellungen in Aussicht stellen: Es kann im richtigen Theater kein falsches geben. Es gibt bloß gutes und schlechtes.