„Ich, umsonst geboren …“

Nadya Andjoman ist tot. Die junge Dichterin aus Herat, die als Zukunftshoffnung der Lyrikszene Afghanistans Aufsehen erregte, wurde von ihrem Mann zu Tode geprügelt

In den Schriftstellerkreisen Afghanistans galt sie als Zukunftshoffnung, manch einer ihrer Kollegen sahen in ihr eine kommende „Ausnahmedichterin“. Aber Nadya Andjoman wurde nur 25 Jahre alt. Ihr Ehemann hat sie zu Tode geprügelt.

Nadya Andjoman wurde 1980 in Herat geboren, in der alten Kulturstadt im Westen Afghanistans, seit dem 15. Jahrhundert die „Stadt der Dichter“. Auch sie schrieb seit ihrem 15. Lebensjahr Gedichte, später studierte sie Literatur an der Universität von Herat. In diesem Jahr veröffentlichte sie gleich zwei Gedichtbände, besonders der zweite mit dem Titel „Rauchblumen“ sorgte für Aufsehen. Ihr Sprache und ihr Stil seien neu, schrieb der Journalist Naqib Aroin für den persischsprachigen Dienst der BBC, ihre Gedichte seien „voller Leidenschaft und gaben Anlass zu Streitgesprächen“.

Nach ihrer Hochzeit mit einem Mitarbeiter der Literaturfakultät war das Leben von Nadya Andjoman zu Ende. Sie hielt kaum mehr Lesungen ab, sie war, wie der BBC-Journalist schrieb, „eine Hausfrau im Hausarrest“. Kürzlich wurde sie tot aufgefunden. Die Polizei stellte zahlreiche schwere Verletzungen an der Leiche fest, die von Schlägen herrührten, und verhaftete ihren Mann. Er gab zu, sie verprügelt zu haben. „Die Nachricht von Nadyas Tod verbreitete sich von Haus zu Haus“, schrieb der Journalist. „Nach ihrer Beerdigung regnete es plötzlich in der Stadt, obwohl das Wetter keinen Regen vermuten ließ.“

Die junge Lyrikerin teilt das Schicksal tausender afghanischer Frauen, die von ihren eigenen Angehörigen ermordet oder in den Tod getrieben wurden. Gerade Herat ist eine Hochburg gewaltsamer Tode. In den letzten Jahren haben sich dort hunderte von Frauen und Mädchen selbst verbrannt oder es versucht. Allein in zwei Monaten des Frühjahrs 2005 zählten die Ärztinnen der Abteilung für Brandopfer in der Klinik von Herat 80 Fälle.

Die Selbstverbrennungen sind ein Aufschrei gegen die extreme innerfamiliäre Gewalt und gegen die anhaltende Rechtlosigkeit der Frauen, die unter dem inzwischen abgesetzten Warlord Ismail Khan in der Provinz Herat besonders ausgeprägt war. Afghanische Frauen haben keinen Zugang zu Schusswaffen oder Tabletten, es gibt auch keine Hochhäuser, von denen sie springen können. Sie haben nur das Petroleum ihres Kochherdes, mit dem sie sich übergießen, um es anzuzünden. Sie sterben von eigener Hand, weil sie glauben, sowieso sterben zu müssen, von der Hand ihrer prügelnden Ehemänner, Väter oder Brüder. Sie sterben, weil sie keinen Ausweg sehen aus den arrangierten Zwangsehen, weil nicht selten ihre eigenen Familien ihre schlimmsten Feinde sind.

Nadja Andjoman hat kein Petroleum benutzt. Sie hat versucht, sich mit Worten zu wehren. „Das Recht zu schreien“ heißt eines ihrer Gedichte. Es geht so: „Ich habe keine Lust den Mund zu öffnen, / worüber soll ich reden? / Ich bin doch eine Ausgestoßene, ob ich will oder nicht / Was soll ich reden von Honig, wenn ich Gift im Schlunde trag / Was soll ich weinen, was lachen, / Was sterben, was leben / Ich, in einer Ecke des Gefängnisses, / Trauer und Bedauern / Ich, umsonst geboren, und Liebe in meinem Mund / Ich weiß, mein Herz, es gab Frühling und Zeiten der Freude / Mit gebrochenen Flügeln kann ich nicht fliegen / Seit langem bin ich still, doch die Lieder sind nicht vergessen / Auch, wenn das Herz ständig von Trauer reden muss / In der Hoffnung, eines Tages den Käfig zu brechen / Frei von Erniedrigung, und berauscht von Singen / Ich bin nicht die zarte Weide, die in Lüften zittert, / Bin afghanische Tochter, mit dem Recht / Zu schreien.“

UTE SCHEUB, MARIAM NOTTEN